An der Grenze zwischen Thailand und Kambodscha haben sich die Truppen beider Länder am Donnerstagmorgen heftige Gefechte geliefert. Die thailändische Armee berichtet, dass mindestens acht Zivilisten durch kambodschanischen Artilleriebeschuss getötet worden seien. Kambodscha wiederum beschuldigt Thailand, mit Kampfjets eine Straße bombardiert zu haben.
Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Auf im Internet verbreiteten Videos sind Explosionen zu sehen und Schusswechsel zu hören. Viele Anwohner der Region haben versucht, sich in Bunkern oder Unterständen in Sicherheit zu bringen.
Warum eskaliert der Konflikt gerade jetzt?
Wer für die jüngste Eskalation verantwortlich ist, ist unklar. In den vergangenen Monaten hatten die Spannungen zwischen beiden Ländern jedoch deutlich zugenommen. Ende Mai wollten kambodschanische Soldaten in einem umstrittenen Grenzabschnitt Schützengräben anlegen. Daraufhin kam es zu einem Schusswechsel mit der thailändischen Armee, ein kambodschanischer Soldat wurde getötet.
Seitdem haben beide Länder zusätzliche Soldaten in die Grenzregion entsandt. Thailand bestellte zudem den kambodschanischen Botschafter ein und zog seinen eigenen Vertreter in Phnom Penh zurück. Außerdem ordnete Bangkok die Schließung mehrerer Grenzübergänge an.
Nur einen Tag vor der jüngsten Eskalation wurden mehrere thailändische Soldaten durch die Explosion von Landminen teils schwer verletzt. Thailand wirft Kambodscha vor, die Minen erst kürzlich verlegt zu haben.
Worum streiten die Thailand und Kambodscha?
Seit Jahrzehnten sind sich Thailand und Kambodscha uneins über den genauen Grenzverlauf zwischen beiden Ländern. Insgesamt ist die Grenze über 800 Kilometer lang, die Region nur dünn besiedelt, in weiten Teilen schwer zugänglich und nur unzureichend kartiert.
Viele Grenzmarkierungen stammen noch aus der französischen Kolonialzeit – zwischen 1863 und 1953 war Kambodscha französisches Protektorat, während Thailand als Königreich Siam formell stets unabhängig blieb. Doch bereits in diesen 90 Jahren kam es zu mehreren gegenseitigen Gebietsabtretungen, so dass der tatsächliche Grenzverlauf sich mehrfach änderte. Zudem wurde der 1907 von Frankreich festgelegte Grenzverlauf, zu dessen Einverständnis Siam gezwungen worden war, später von Thailand angefochten.
Gleichzeitig befinden sich im Grenzgebiet gleich mehrere Tempelanlagen, auf die beide Länder Anspruch erheben. Die bekannteste ist der Prasat Preah Vihear, ein hinduistischer Tempel der Khmer aus dem 10. bis 12. Jahrhundert. Der Tempel und das umliegende Gebiet werden von beiden Staaten beansprucht, aber von Kambodscha kontrolliert.
Der Streit landete 1959 vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, der Kambodscha drei Jahre später Recht gab. Als die UNESCO im Jahr 2008 den Tempel zum Weltkulturerbe erklären wollte, flammte der Konflikt erneut auf, bei Schusswechseln an der Grenze gab es viele Tote. Wieder rief Kambodscha den IGH an, der erneut zugunsten Phnom Penhs entschied.
Wer könnte schlichten?
Eigentlich hatten beide Länder im Jahr 2000 eine gemeinsame Grenzkommission eingerichtet, um den Grenzzwist friedlich beizulegen - dabei aber bis heute keine nennenswerten Fortschritte erzielt.
Und so hat sich Kambodscha im Juni 2025 mit einem Brief zum dritten Mal an den Internationalen Gerichtshof gewandt – mit der Bitte, nicht nur den Territorialstreit am Khmer-Tempel, sondern auch andere Grenzverläufe mit Thailand endgültig zu klären. Das zweimal in Den Haag unterlegene Thailand hingegen bevorzugt weiterhin grundsätzlich eine bilaterale Verhandlungslösung. Diese aber ist durch die jüngste Eskalation in weite Ferne gerückt.
"Kambodscha möchte den aktuellen Konflikt vor den IGH bringen, weil es dort in der Vergangenheit Erfolg hatte", sagte Zachary Abuza, Südostasien-Experte der unabhängigen Denkfabrik Lowy Institute in Sydney, bereits im Juni im DW-Interview. "Thailand möchte seine wirtschaftliche Stärke einsetzen und glaubt, einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil zu haben."
Wie abhängig sind Thailand und Kambodscha voneinander?
Tatsächlich ist Thailand deutlich industrialisierter als sein Nachbarland, sein Bruttoinlandsprodukt ist zwölfmal höher als das Kambodschas. Während Thailand elektronische Artikel, Automobile und Lebensmittel exportiert, ist Kambodscha vor allem auf Landwirtschaft und Textilindustrie angewiesen. In Thailand leben offiziellen Statistiken zufolge rund eine halbe Million kambodschanische Gastarbeiter.
"Beide haben viel zu verlieren", erklärt die Politologin Tita Sanglee am ISEAS-Yusof Ishak Institute in Singapur der DW. "Thailand ist in hohem Maße auf kambodschanische Arbeitskräfte angewiesen und exportiert erhebliche Mengen nach Kambodscha. Neben Kraftstoffen, Maschinen und Getränken sind viele thailändische Exporte wichtige Güter des täglichen Bedarfs."
Beide Länder sind zudem auf Einnahmen aus dem Tourismus angewiesen, der bei einem längeren Anhalten des Konfliktes ebenfalls rückläufig werden dürfte.
Welche Rolle spielt die Regierungskrise in Thailand?
Eigentlich unterhielten die aktuellen Regierungen in Bangkok und Phnom Penh enge Beziehungen zueinander, was auch an dem guten Verhältnis zwischen dem thailändischen Ex-Premier Thaksin Shinawatra und dem langjährigen kambodschanischen Staatschef Hun Sen zurückzuführen ist. In beiden Ländern regierten Kinder der zwei ehemaligen Staatsführer.
In Kambodscha sitzt Hun Sens Sohn Hun Manet fest im Sattel. Doch in Thailand stürzte Thaksins erst 38-jährige Tochter Paetongtarn Shinawatra Anfang Juli über einen politischen Skandal. In einem im Juni geleakten Telefonmitschnitt zwischen ihr und Hun Sen nannte sie den 72-jährigen Politiker "Onkel" und kritisierte ihre eigenen Militärkommandanten im Zusammenhang mit dem Grenzkonflikt.
Schon zuvor hatten konservative, militärnahe Kräfte Paetongtarns Pläne scharf kritisiert, gemeinsam mit Kambodscha darüber zu verhandeln, Energieressourcen in einem ebenfalls zwischen beiden Ländern umstrittenen Seegebiet zu erschließen. Innenpolitisch hat Thailand ohnehin mit einer schwächelnden Wirtschaft und hohen US-Strafzöllen zu kämpfen.
Am 1. Juli wurde Shinawatra vom Verfassungsgericht des Landes vom Amt suspendiert. Bis zu einer endgültigen Entscheidung über ihr künftiges politisches Schicksal könnten Monate vergehen. Die politischen Verhältnisse in Thailand sind also wieder einmal äußerst instabil.
Das Militär des Landes könnte nun die Gunst der Stunde nutzen wollen. Es hatte seine Rhetorik gegenüber Kambodscha bereits in den letzten Wochen deutlich verschärft. Gleichzeitig berichtete die Bangkok Post, dass sich in Thailands Tourismusbranche bereits die Angst vor einem neuen Militärputsch breitmache.