Blickpunkt Lateinamerika | Deutsche Welle

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Item 1
Id 68909168
Date 2024-04-25
Title Wie relevant ist das Commonwealth heute noch?
Short title Wie relevant ist das Commonwealth heute noch?
Teaser Die Nachfolgeorganisation des Britischen Empire hat an Bedeutung verloren. Heute dient es Mitgliedsstaaten als diplomatisches Netzwerk. Junge Afrikaner sehen wenig Vorteile in einer Mitgliedschaft und fordern Reformen.

Das moderne Commonwealth of Nations ist so alt wie sein Oberhaupt, der britische König Charles III.: Seit 75 Jahren besteht der Bund souveräner Staaten in seiner heutigen Form, aber für viele junge Menschen hat die einst aus dem Britischen Empire hervorgegangene Gemeinschaft offenbar nur wenig politischen Nutzen.

Das Commonwealth ist für Khalil Ibrahim eine Organisation, die zwar aktiv ist, aber "nicht wirklich", sagt der 32-jährige Aktivist aus Accra im DW-Interview: "Sie bietet Stipendien an, Praktika für junge Fachkräfte aus den Mitgliedsländern, kostenlose Online-Kurse." Auch er habe von einigen Kursen profitiert. "Aber auf politischer Ebene ist es eine nutzlose Organisation."

Keine Relevanz - zu wenig Einfluss

Auch Eyram Yorgbe glaubt weder an Relevanz noch Wirksamkeit des Commonwealth, insbesondere für die afrikanischen Mitgliedsstaaten. Die Organisation behaupte, dass sie die wirtschaftlichen Partnerschaften zwischen ihren Mitgliedern erleichtere, sagt die 34-jährige Verwaltungsangestellte einer ghanaischen Firma. "Aber diese Partnerschaften gelten hauptsächlich für stärker entwickelte Volkswirtschaften im Commonwealth." Die afrikanischen Länder seien nur deshalb im Commonwealth, weil sie historisch mit der Monarchie verbunden seien, sagt Yorgbe zur DW. "Aber es ist höchste Zeit, dass wir unsere Strategien überdenken."

Von den 56 Mitgliedstaaten liegen 21 in Afrika. In keinem dieser Länder ist der britische Monarch Staatsoberhaupt. Die Mitgliedschaft wurde über die Jahrzehnte auch auf nicht-britische ehemalige Kolonien, darunter Mosambik (1995) und Ruanda (2009) ausgedehnt. Gabun und Togo sind 2022 als jüngste Mitglieder dazugekommen. Die Organisation setzt nach wie vor auf gemeinsame Werte.

Nutzen: Ein diplomatisches Netzwerk

Aber laut Philip Murphy, Direktor für Geschichte und Politik am Institut für historische Forschung an der University of London, gibt es zu viele verschiedene Länder und Herangehensweisen. Damit lasse sich kein klarer Konsens zu den wichtigsten politischen Themen finden, sei es der Krieg in der Ukraine oder der Klimawandel.

Das moderne Commonwealth hat eine Gesamtbevölkerung von 2,5 Milliarden Menschen, von denen mehr als 60 Prozent unter 30 Jahre alt sind. Die Mehrheit der Bürger lebt im globalen Süden und stammt zumeist aus ehemaligen britischen Kolonien.

"Es ist ein Relikt aus der Vergangenheit, aber es ist ein nützliches diplomatisches Netzwerk, insbesondere das Netzwerk der Hohen Kommissare in London", betont Murphy. Gerade für die mehrheitlich kleinen Mitgliedsländer und Inselstaaten sei auch der Zugang zur britischen Regierung und Außen- und Bildungsminister des Commonwealth von Vorteil. Dazu zählten reiche Geberstaaten wie Kanada und Australien.

Sekretariat zu schwach

"Das Netzwerk ist also wichtig genug, um zu verhindern, dass Mitglieder die Organisation verlassen oder sie auflösen, aber der Commonwealth ist sehr schwach und das hat mit seiner Geschichte zu tun", bilanziert Murphy im DW-Interview.

Das 1965 gegründete Commonwealth Secretariat sei nicht befugt, Politik zu machen. Es hatte laut Murphy nie einen ausreichend starken Durchsetzungsmechanismus, um die souveränen Mitgliedsstaaten zu verpflichten, sich den westlichen Werten wie Demokratie, Menschenrechte oder Rechtsstaatlichkeit anzuschließen. Oft seien sie nur dem Namen nach Demokratien. Die aktuelle Kritik am Commonwealth ziele häufig darauf, dass Menschenrechtsverbrechen in einzelnen Mitgliedstaaten und repressive homophobe Gesetze nicht nachdrücklich genug angeprangert werden.

Neue Mitglieder treten ein

Erfolgreiches Engagement zeigte das Commonwealth in den Zeiten der Entkolonialisierung der weißen Siedlerkolonien in seinen Ex-Kolonien im damaligen Rhodesien (heute Simbabwe) und Südafrika, sagt Murphy. Und spielte eine wichtige Rolle bei der Sicherstellung eines friedlichen Machtwechsels in Südafrika in den 1990iger Jahren. Danach habe die Organisation an Bedeutung verloren.

Das Commonwealth sei aber keine sterbende Organisation, betont Alex Wines, Leiter des Afrika-Programms in der Londoner Denkfabrik Chatham House. Sie gewinne neue Mitglieder. Das habe nichts mit der imperialen Vergangenheit des Vereinigten Königreichs zu tun, sondern mit handfesten Interessen.

Neben Angola steht auch Simbabwe auf der Warteliste für die Mitgliedschaft. Das Land war 2003 wegen schweren Menschenrechtsverletzungen unter der Präsidentschaft des Autokraten Robert Mugabe aus dem Staatenbund ausgeschlossen worden. Eine eher seltene Sanktion innerhalb der Gemeinschaft, sagt Murphy.

Simbabwe will wieder Mitglied werden

Seit 2018 bemüht sich das international isolierte Land um einen Wiedereintritt. Aus strategischen Gründen, so der politische Analyst Gibson Nyikadzino in Harare: "Es geht um das Ansehen, Mitglied innerhalb des Komitees der Nationen zu sein, um Zugang zu billigen Märkten mit geringen Handelszöllen zu haben."

Die junge Rechtsanwältin Fortunate Nyamayaro findet das überflüssig: Simbabwe könne auf sich allein gestellt sein und auch mit anderen regionalen Blöcken zusammenarbeiten, und bilaterale Abkommen schließen, die für beide Seiten von Vorteil sind, sagt sie zur DW. "Für mich ist das Commonwealth ein koloniales Erbe, mit dem sich Simbabwe nicht zu identifizieren braucht."

Reformen notwendig

Zu den Funktionen der Organisation gehört auch die Wahlbeobachtung in Mitgliedsländern. Vor wenigen Tagen veröffentlichte die Beobachtergruppe des Commonwealth ihren Bericht über die Präsidentschaftswahlen in Nigeria 2023. Darin stellte sie erhebliche Mängel fest, die die Glaubwürdigkeit und Transparenz der Wahlen insgesamt beeinträchtigten.

Diese Kritik begrüßt der Anti-Korruptions-Aktivist Bishir Dauda im Bundesstaat Katsina: "Das ist wichtig für gute Regierungsführung", sagt er zur DW. Aber er fordert auch Reformen im Commonwealth, um den sich ändernden Anforderungen und Herausforderungen der Welt gerecht zu werden.

Für die Studentin Rabi Marafa überwiegen die negativen Auswirkungen des Kolonialismus: Nigeria profitiere in keiner Weise vom Commonwealth, sagt sie zur DW. "Es erinnert mich an unsere dunkelste Vergangenheit und ist das letzte Überbleibsel des Imperialismus."

Mitarbeit: Isaac Kaledzi in Ghana, ⁠Privilege Musvanhiri in Simbabwe, Muhammad Al-Amin in Nigeria

Short teaser Die Nachfolgeorganisation des Britischen Empire hat an Bedeutung verloren. Heute dient es als diplomatisches Netzwerk.
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Item 2
Id 68910414
Date 2024-04-25
Title Spannungen zwischen Israel und Iran: Wird Syrien zum permanenten Schlachtfeld?
Short title Israel-Iran-Konflikt: Syrien als neues Schlachtfeld?
Teaser Seit Jahren bombardiert Israel immer wieder Ziele in Syrien, um zu verhindern, dass dort iranische und pro-iranische Kräfte ihren Einfluss ausbauen. Experten sind besorgt, dass die Lage weiter eskalieren könnte.

Gerade eine Woche lag der mutmaßliche israelische Angriff auf den iranischen Botschaftskomplex in Damaskus zurück, da ging der syrische Diktator Baschar al-Assad demonstrativ zur Tagesordnung über. In Begleitung seiner Frau und seiner Familie zeigte er sich zum Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan in der Öffentlichkeit, nahm an den Gebeten teil und spazierte durch die Straßen der Stadt.

Offenbar störte es ihn nicht, dass ein ausländischer Staat nur wenige Tage zuvor mehrere hochrangige Generäle in der syrischen Hauptstadt getötet hatte. Doch der Spaziergang, wie auch die scheinbare Gleichgültigkeit, waren kalkuliert, sagt Haid Haid, Nahost-Experte der Londoner Denkfabrik Chatham House.

"Der Fototermin mit Assad war kein Zufall. Er ist Teil einer umfassenderen Kampagne, die zeigen soll, dass die Geschäfte wie gewohnt weiterlaufen", so Haid während einer Chatham House-Veranstaltung zu Syrien zu Beginn dieser Woche. "Offenbar wollte man damit zu verstehen geben, dass Syrien sich nicht an Vergeltungsmaßnahmen für den israelischen Angriff auf das iranische Konsulat beteiligen wird und Syrien nicht der Hauptschauplatz dieses Konflikts sein wird."

Das aber sei nicht überraschend, so Haid. Seit Beginn des Krieges in Gaza habe sich Assad - anders als andere iranische Verbündete - weitgehend zurückgehalten.

Dafür gibt es mehrere Gründe. So wäre das syrische Militär aufgrund des lang andauernden syrischen Bürgerkriegs ohnehin zu keiner Reaktion auf Angriffe fähig. Zudem liegt die Wirtschaft des Landes in Trümmern, und Zurückhaltung in Bezug auf Gaza könnte dem Regime außenpolitisch von Nutzen sein.

Irans Transitroute durch Syrien

Das syrische Regime verfolgt diese Linie ungeachtet des Umstands, dass Israel seit über einem Jahrzehnt Ziele in Syrien angreift. Im Jahr 2012 intervenierte die Regierung Irans im syrischen Bürgerkrieg und half dem Regime in Damaskus, die syrischen Oppositionskräfte zu besiegen. Syrien zeigt sich erkenntlich und bot Iran einen Landkorridor für den Transport von Ausrüstung und Kämpfern in Richtung Libanon an.

Dort hat die Hisbollah ihren Sitz, die mächtigste der militärischen Stellvertreterorganisationen, die der Iran in der Region unterhält. Sie ist längst auch in Syrien präsent. Wie der Iran betrachtet auch die Hisbollah Israel und die USA als Feinde.

Seit geraumer Zeit versetzt die wachsende iranische Präsenz in Syrien Israels Militär in Unruhe. Man ist besorgt über iranische Truppen und Infrastruktur nahe der eigenen Grenze. Darum hat Israel regelmäßig solche Ziele in Syrien ins Visier genommen.

"Israels primäres Interesse in Syrien ist es, dort eine strategische iranische Militärpräsenz in zu verhindern", heißt es in einem Aufsatz der International Crisis Group, einer westlichen Nichtregierungsorganisation (NGO). Israel habe daher "mehr als 100 Angriffe auf Konvois und Lagerhäuser durchgeführt, die die Nachschublinien der Hisbollah in Syrien versorgen." Ab Ende 2017 habe das Tempo der israelischen Angriffe zugenommen, so die Crisis Group. Beobachtern zufolge finden die israelischen Angriffe fast wöchentlich statt.

Gründe der syrischen Zurückhaltung

Die syrische Regierung hat immer noch mit den Nachwirkungen des langjährigen Bürgerkriegs zu kämpfen und ist vornehmlich mit ihrem eigenen Überleben beschäftigt. Wenn sie überhaupt einmal auf mutmaßlich israelische Angriffe reagierte, dann meist mit Raketen, die Analysten zufolge meist als Blindgänger endeten. Ohnehin hat Israel selten syrische Einrichtungen, sondern meist gezielt iranische Objekte beschossen.

Seitdem die militante, von den USA, der EU und anderen Staaten als terroristische Vereinigung eingestufte Hamas am 7. Oktober Israel angriff, hat die Zahl der israelischen Angriffe auf Syrien jedoch zugenommen. Hatte Israel es bislang oft vermieden, iranische oder Hisbollah-Agenten dort zu töten, habe sich diese Taktik nun geändert, schrieb Chatham House-Experte Haid in einem Kommentar Anfang April.

Ende März äußerte sich auch der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant zu Plänen, die Taktik gegenüber der libanesischen Hisbollah auszuweiten. "Wir werden überall dort angreifen, wo die Organisation operiert, in Beirut, Damaskus und an weiter entfernten Orten", sagte Gallant in israelischen Medien.

Diese neue Strategie gipfelte in dem mutmaßlich israelischen Bombenangriff auf den iranischen Botschaftskomplex in Damaskus am 1. April. Dieser führte zum ersten direkten iranischen Raketen- und Flugkörperangriff auf Israel und einem begrenzten israelischen Gegenangriff.

Eine weitere Eskalation wollten offenbar beide Seiten vermeiden. Allerdings dürften sich indirekte Angriffe von und auf iranische Verbündete fortsetzen, meinen Experten.

Weitere Angriffe auf Ziele in Syrien nicht ausgeschlossen

"In politischen Kreisen ist man der Ansicht, dass Angriffe in Syrien mit geringen Kosten verbunden sind", sagt Dareen Khalifa, Analystin bei der International Crisis Group. Dies liege auch daran, dass Syrien in der Regel auf solche Angriffe nicht reagiere.

Darum dürfte Syrien auch in Zukunft ein Ausgangspunkt für Angriffe der vom Iran unterstützten Stellvertreter im Land sein. Aus demselben Grunde werde auch Israel seine Angriffe auf iranische Einrichtungen in Syrien fortsetzen. Dies könne - wie schon bisher - immer wieder auf weitere Länder übergreifen, warnt Khalifa. "Wir beobachten eine schrittweise Eskalation in der Region."

Insgesamt verlaufe der Konflikt nach dem Muster "Wie du mir, so ich dir", so Khalifa. Wie leicht die Situation jedoch außer Kontrolle geraten könne, habe der Angriff auf die iranische Botschaft in Damaskus mitsamt seinen Folgen bereits gezeigt.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Short teaser Seit Jahren bombardiert Israel pro-iranische Stellungen in Syrien. Könnet die Lage eskalieren?
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Image caption Das zerstörte iranische Botschaftsgebäude in Damaskus nach dem mutmaßlich israelischen Angriff Anfang April 2024
Image source Firas Makdesi/REUTERS
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Item 3
Id 68921522
Date 2024-04-25
Title Kehrtwende in der polnischen Außenpolitik
Short title Kehrtwende in der polnischen Außenpolitik
Teaser Polens Außenminister Radoslaw Sikorski hat die Grundzüge der neuen Außenpolitik vorgestellt. Dabei ging er hart mit der Politik seiner national-konservativen Vorgänger um Jaroslaw Kaczynski ins Gericht.

Die polnische Mitte-Links-Regierung unter dem liberalen Premier Donald Tusk hat gleich nach der Regierungsübernahme am 13. Dezember 2023 mit der Neujustierung der Außenpolitik begonnen. Die vordringlichen Aufgaben: ein Neustart im Verhältnis zur Europäischen Union, die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks und die Verbesserung der angespannten Beziehungen zu Deutschland wurden von Tusks Regierung bereits in den ersten Monaten dieses Jahres in Angriff genommen.

Am Donnerstag (25.04.2024) bestätigte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski in seiner ersten Grundsatzrede vor den Abgeordneten im polnischen Parlament, dem Sejm, den Wandel in der Außenpolitik. Dabei rechnete er mit der Vorgängerregierung der national-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski hart ab.

"In den vergangenen acht Jahren gab es eine Reihe von verfehlten ideologischen Prinzipien, von schlechten Ideen sowie falschen Entscheidungen und Unterlassungen", sagte Sikorski.

Er nannte als Beispiele den "chronischen Konflikt" mit den EU-Institutionen wegen der Politisierung der polnischen Gerichte, der Verschlechterung der Beziehungen zu Polens Nachbarn Deutschland, Frankreich und Tschechien sowie der "verfehlten Hoffnung auf ein Bündnis mit Amerika gegen die EU". Auch ein "ideologisches Bündnis mit Pro-Putin-Populisten" und die Abneigung gegen den angeblich "verfaulten Westen" erwähnte der Politiker, der bereits in den Jahren 2007-2014 das polnischen Außenamt geleitet hatte.

Mythen und Hirngespinste der PiS

Sikorski warf der PiS vor, sich in der Außenpolitik von "schädlichen Mythen und Hirngespinsten" leiten zu lassen. In jeder Mythologie sei ein "schwarzer Charakter" notwendig, um negative Emotionen abzuleiten. Diese Rolle hätten die National-Konservativen den Deutschen zugewiesen. "Deutschland ist unser demokratischer Nachbar, wichtigster Handelspartner, wichtiger europäischer Player und Schlüsselverbündeter in der NATO", hielt Sikorski dagegen.

"Warschau und Berlin brauchen sich gegenseitig", unterstrich der polnische Chefdiplomat. Er zitierte dabei auch aus der Rede des 2015 verstorbenen Vorreiters der polnisch-deutschen Versöhnung, Wladyslaw Bartoszewski vor dem Deutschen Bundestag. Er hatte in dieser viel beachteten Rede im Jahr 1995 gesagt: "Das Gedenken und die historische Reflexion müssen unsere Beziehungen begleiten. Sie sollten dafür jedoch nicht Hauptmotivation sein, sondern den Weg bereiten für die gegenwärtigen und in die Zukunft gerichteten Motivationen."

Reparationen bleiben auf der Agenda

Sikorski sprach auch das Thema der Reparationen für die polnischen NS-Opfer an, wobei er das Wort Reparationen vermied und stattdessen von Entschädigungszahlungen sprach. Er appellierte an die deutsche Seite, in dieser Frage "Sensibilität und Empathie" zu zeigen. "Wir erwarten von Berlin Vorschläge zur Wiedergutmachung", sagte er. An Ideen mangele es nicht - von einer Unterstützung für die noch lebenden Opfer über den Wiederaufbau polnischer Denkmäler, Investitionen in die polnische Sicherheit bis zum polnischen Sprachunterricht und der Vermittlung polnischer Geschichte.

Als besonders wichtig bezeichnete er "deutsche Investitionen in die Sicherheit der Region". Sie seien "Ausdruck der Anerkennung vergangener Fehler". Die Vorgängerregierung hatte die polnischen Kriegsverluste auf 6,2 Billionen Zloty (1,3 Billionen Euro) beziffert und die Bundesregierung im Oktober 2022 aufgefordert, Gespräche über eine Wiedergutmachung aufzunehmen.

Heiße Kartoffel: Reform der EU-Verträge

Sikorski scheute sich auch nicht, die in Polen äußerst heikle Frage der Änderung der EU-Verträge anzusprechen. "Polen wird eine realistische Reform der EU, die zur Wettbewerbsfähigkeit und Stärke der Gemeinschaft beiträgt, unterstützen", versicherte er. Er sei nicht überzeugt, dass dafür eine Änderung der Verträge notwendig sei. "Wir können aber nicht ausschließen, dass ein Teil der Mitgliedsstaaten davon die Zustimmung zur Vollendung der Erweiterung abhängig macht."

Laut Sikorski ist die Regierung "offen für Argumente". Der Minister sprach sich für Mehrheitsentscheidungen etwa beim Beschließen von Sanktionen aus, um Blockaden, wie jetzt von Ungarn, zu vermeiden. Die Aufnahme neuer Mitglieder sollte dagegen einstimmig erfolgen. "Unterbreiten wir kluge polnische Vorschläge", sagte Sikorski und appellierte an die Opposition, die Befürworter der Mehrheitsentscheidungen nicht als Landesverräter zu diffamieren. Oppositionsführer Kaczynski hatte die EU-Pläne als einen Versuch kritisiert, den polnischen Nationalstaat zu liquidieren.

Präsident Duda empört über Sikorski

Der polnische Präsident Andrzej Duda, der die Rede Sikorskis aus seiner Loge im Parlament verfolgte, reagierte empört auf die Kritik an der PiS-Regierung. Das konservative Staatsoberhaupt, das dem national-konservativen Lager um Kaczynski nahe steht, warf dem Außenminister vor, einen Angriff auf die Politik der Vorgängerregierung gestartet zu haben.

"Dieser Angriff ist total unbegründet und enthält viele Lügen, Manipulationen und Unwahrheiten, die die Polen spalten und einen unnötigen Konflikt heraufbeschwören", sagte Duda. Er warf der EU-Kommission "ungeheure Heuchelei" in der Frage der Rechtsstaatlichkeit vor. Sikorski beschuldigte er, vor 2015, als Deutschland und Russland gemeinsam die Gaspipeline Nord Stream 1 und 2 gebaut hätten, Berlin zur Übernahme der Führung in Europa ermuntert zu haben. Bei seinem Besuch in Berlin im November 2011 hatte Sikorski gesagt: "Deutsche Macht fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkeit."

Die polnischen National-Konservativen betrachten Deutschland als die größte Gefahr für Polens Souveränität. Kaczynski bezeichnet den heutigen Regierungschef Tusk seit langem öffentlich als deutschen Agenten und seine Partei Bürgerplattform als von außen gesteuerte Kraft.

Eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen werden Anfang Juli die Regierungskonsultationen sein. Das letzte Treffen fand im November 2018 statt, noch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag sieht eigentlich jährliche Konsultationen vor.

Short teaser Polens Außenminister Radoslaw Sikorski kündigt eine Neuausrichtung im Verhältnis zu Deutschland und zur EU an.
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Image caption Polens Außenminister Radoslaw Sikorski bei der Vorstellung der außenpolitischen Leitlinien im Sejm
Image source Leszek Szymanski/dpa/picture alliance
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Item 4
Id 68919046
Date 2024-04-25
Title Keine Pässe mehr für Ukrainer im Ausland - und nun?
Short title Keine Pässe mehr für Ukrainer im Ausland - und nun?
Teaser Die Ukraine schränkt konsularische Dienstleistungen für wehrfähige Männer ein, die sich im Ausland befinden. Juristen bezweifeln die Verhältnismäßigkeit der Regelung. Was sagen Betroffene in Deutschland dazu?

"Gut, dass ich meinen Reisepass letztes Jahr in Köln bekommen habe und nicht mehr zum Konsulat muss", sagt Oleh aus Kiew, der heute mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Deutschland lebt. So reagiert er auf die Erklärung des Außenministers der Ukraine, Dmytro Kuleba, Staatsbürgern im wehrfähigen Alter, die sich im Ausland aufhalten, konsularische Dienstleistungen nicht mehr in vollem Umfang zu erbringen. Dies soll vor allem für diejenigen gelten, die sich nicht beim Militär registrieren lassen.

"Im Ausland zu leben, befreit einen Bürger nicht von den Pflichten gegenüber seinem Heimatland", betonte Kuleba am Dienstag auf der Online-Plattform X und fügte hinzu, Maßnahmen angeordnet zu haben, um eine "faire Behandlung von Männern im mobilisierungsfähigen Alter in der Ukraine und im Ausland" zu gewährleisten.

Inzwischen hat Kiew die Ausgabe von Reisepässen an im Ausland befindliche Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren gestoppt. Somit können ukrainische Männer im wehrfähigen Alter Reisepässe nur noch im Land selbst erhalten. Ausgenommen ist nur die Ausgabe von Personalausweisen zur Rückkehr in die Ukraine.

Meldepflicht, mögliche Strafen und erwartete Klagen

Die Maßnahme steht im Zusammenhang mit dem jüngst verabschiedeten Gesetz zur Verstärkung der Mobilmachung und zielt darauf ab, Männer zur Rückkehr in ihr Heimatland zu drängen. Das Gesetz soll am 18. Mai in Kraft treten.

Gemäß den neuen Bestimmungen müssen sich auch die männlichen ukrainischen Staatsbürger, die im Ausland leben, beim Militär melden. "Wie das im Ausland geschehen soll und welche Papiere vorgelegt werden müssen, ist unklar", sagt die Kiewer Anwältin Hanna Ischtschenko. Das habe die Regierung noch nicht festgelegt. Klar sei bisher nur, dass das Gesetz ausnahmslos für alle männlichen Bürger gelte - sowohl für die, die nach der großangelegten Invasion Russlands im Jahr 2022 die Ukraine verlassen haben, als auch für solche, die seit ihrer Geburt im Ausland leben.

Die Bestimmungen zur Meldepflicht sehen vor, dass ukrainische Staatsbürger im Ausland erst dann Konsulardienste in Anspruch nehmen können, wenn geklärt ist, ob sie sich beim Militär haben registrieren lassen. Ist dies nicht der Fall, droht ihnen neben der Verweigerung konsularischer Dienstleistungen eine Geldbuße von 510 bis 850 Hrywnja (ca. 12 bis 20 Euro) und bei wiederholtem Verstoß bis zu 1700 Hrywnja (ca. 40 Euro).

Anwältin Ischtschenko rechnet mit Klagen gegen die Behörden. Gerichte würden klären müssen, ob die behördlichen Entscheidungen im Einklang mit dem Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz stehen. "Es muss eine Vereinbarkeit zwischen den Folgen für die Bürger und den Zielen bestehen, die mit den Bestimmungen erreicht werden sollen", erläutert sie. Ihrer Ansicht nach entsprechen die Maßnahmen der Staatsmacht trotz der Kriegssituation nicht dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit.

Oleksandr Pawlitschenko von der Ukrainischen Helsinki-Union für Menschenrechte spricht sogar von Diskriminierung. Er befürchtet, dass die ukrainischen Behörden den betroffenen Personen künftig auch in Notsituationen Hilfe verweigern könnten. Als Folge würden die Menschen eine andere Staatsbürgerschaft anstreben, über einen Flüchtlingsstatus oder andere Verfahren, um aus der für sie "unbequemen" ukrainischen Staatsbürgerschaft herauszukommen. Auch Pawlitschenko rechnet damit, dass Ukrainer unter Berufung auf die Europäische Menschenrechtskonvention gegen die neuen Bestimmungen klagen werden.

Hoffnung auf Schutz und Hilfe seitens Deutschlands

Oleg will sich nicht beim Militär melden. Er fürchtet einen Einsatz im Krieg, obwohl er als Vater einer kinderreichen Familie nach jetzigen Vorschriften von der Dienstpflicht befreit ist. "Ich werde meine Frau mit drei Kindern doch nicht allein lassen", betont er.

Bohdan, der seinen Nachnamen ebenfalls nicht nennen möchte, hat die Ukraine unter Umgehung der Grenzkontrollen illegal verlassen. Er sei über die Republik Moldau nach Deutschland gekommen, wo er vorübergehend einen Schutzstatus genießt. Bohdan will auf keinen Fall zurück, er fühlt sich in Deutschland wohl und lernt Deutsch.

Strafmaßnahmen gegen Männer, die sich nicht beim Militär melden, könnten diejenigen, die die Ukraine im Krieg bewusst verlassen haben, nicht zu einer Heimkehr bewege, meint Bohdan. "Wenn ich im Jahr 2032 einen neuen Pass beantrage, dann werde ich hoffentlich eine andere Staatsbürgerschaft haben, vielleicht die deutsche", sagt er.

Auf die Frage, was er tun würde, sollte er unerwartet ein ukrainisches Konsulat brauchen, sagt Bohdan: "Nichts, absolut nichts." Er rechne nicht mit Problemen. "Ich bin zu fast 90 Prozent sicher, dass Deutschland es so einrichten wird, dass wir alle nötigen Papiere hier bekommen, ohne ukrainische zu brauchen. Wir werden die Ukraine nicht kontaktieren müssen", glaubt er.

Der Pressesprecher des deutschen Innenministeriums, Maximilian Kall, sagte auf der Regierungspressekonferenz am Mittwoch, er sehe das Vorgehen der ukrainischen Behörden "als konsularrechtliche Frage, die allein in der Hand der ukrainischen Stellen ist". Kall betonte, dies werde sich nicht auf den Schutzstatus für Geflüchtete aus der Ukraine auswirken, "ganz gleich, ob es Frauen oder Männer sind".

Vor allem Frauen kehren in die Ukraine zurück

Im Februar 2024 suchten laut Statistischem Bundesamt etwa gleichviel Männer und Frauen aus der Ukraine im Alter von 18 bis 60 Jahren in Deutschland Asyl: 5.597 beziehungsweise 5.772 Personen. Zwei Jahre zuvor waren zwei Drittel der Kriegsflüchtlinge Frauen, die zweitgrößte Kategorie waren Kinder.

Andererseits sind 39 Prozent derjenigen, die derzeit in die Ukraine zurückkehren, Frauen im erwerbsfähigen Alter. Der Anteil der Männer im wehrfähigen Alter, die aus Deutschland in ihre Heimat zurückkehren, beträgt dagegen nur 23 Prozent.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

Short teaser Die Ukraine schränkt konsularische Dienstleistungen für Männer ein, die sich im Ausland befinden. Was sagen Betroffene?
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Image caption Kiew stoppt die Ausgabe von Reisepässen an wehrfähige Ukrainer im Ausland
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Item 5
Id 51881759
Date 2024-04-25
Title Der "Fall Weinstein" - Chronik eines Skandals
Short title Der "Fall Harvey Weinstein": eine Chronik
Teaser Mehr als 100 Frauen werfen Harvey Weinstein sexuelle Belästigung oder Vergewaltigung vor. Ein Gericht in New York hat den Filmproduzenten schuldig gesprochen und das Strafmaß verkündet.

Alles beginnt mit einem Tweet - wie so viele Geschichten heutzutage, die sich in kürzester Zeit zu einem Skandal auswachsen. Die US-Schauspielerin Rose McGowan beschuldigt in einem Tweet einen namentlich nicht genannten, einflussreichen Filmproduzenten aus Hollywood, sie vergewaltigt zu haben - unter dem Hashtag #WhyWomenDontReport (Warum Frauen nichts melden).

Der Tweet erscheint, kurz nachdem sich gerade bekannte US-amerikanische Persönlichkeiten aus der Film- und TV-Branche dem öffentlichen Vorwurf sexueller Belästigung von Frauen stellen müssen, unter ihnen der bekannte US-Schauspieler Bill Cosby und Bill O'Reilly, prominenter Fernsehmoderator beim US-Sender Fox News.

Obwohl in der Filmbranche und in Hollywood seit langem Gerüchte über Weinsteins fragwürdiges Verhalten gegenüber Frauen kursieren, wird das nie aktenkundig. 2015 geht bei der New Yorker Polizei ein Grapscher-Vorwurf gegen den bekannten Filmproduzenten ein, aber es wird keine Anklage gegen Harvey Weinstein erhoben.

Die "New York Times"-Journalistin Jodi Kantor, die sich für eine Reportage mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz beschäftigt, wird auf den Tweet von McGowan aufmerksam und kontaktiert die Schauspielerin, um mehr über den Vorwurf gegen Weinstein zu erfahren. Das Gespräch der beiden Frauen bringt den Ball ins Rollen.

Zusammen mit ihrer Kollegin Megan Twohey veröffentlicht Kantor die Vorwürfe gegen Harvey Weinstein, die Filmbranche und die weltweite Öffentlichkeit reagieren geschockt. Der nachfolgende Skandal führt zu einer umfangreichen strafrechtlichen Untersuchung der angeblichen sexuellen Übergriffe des ehemals mächtigen und einflussreichen Film-Moguls.

"Sie hatte Angst, Weinstein würde sie vernichten"

Jodi Kantors Artikel erscheint am 5. Oktober 2017 in der "New York Times". Darin beschuldigten ihn mehrere Frauen, die über Jahrzehnte mit Weinstein als Produzent zusammengearbeitet hatten, der Vergewaltigung, sexueller Belästigung und der Einschüchterungsversuche. Schauspielerinnen wie Rose McGowan und Ashley Judd packten zahlreiche intime Details über ihre Erfahrungen mit dem Filmproduzenten aus. Nachdem sie den Anfang gemacht haben, meldeten sich in kurzer Zeit weitere Opfer Weinsteins.

Nur ein paar Tage später, am 10. Oktober 2017, veröffentlichte der Journalist Ronan Farrow im Magazin "The New Yorker" das Ergebnis seiner Recherchen im "Fall Weinstein". Er konnte Aussagen von weiteren 13 Frauen anführen, die ausgesagt haben, von Weinstein mehrfach sexuell belästigt worden zu sein.

Einige Anschuldigungen liegen Jahrzehnte zurück, andere waren relativ aktuell. Farrow fand einen plausiblen Grund dafür, warum Weinstein nicht viel früher angezeigt wurde. Das Zitat der italienischen Schauspielerin und Regisseurin Asia Argento zeigte das Dilemma der Opfer: "Sie hatten Angst, Weinstein würde sie vernichten." Sie wisse, dass er schon viele Karrieren zerstört habe, so Argento weiter. "Deshalb ist diese Geschichte - bei mir liegt sie 20 Jahre zurück - auch nicht früher rausgekommen."

Diese Bekenntnissen der Opfer von Weinstein führten schließlich dazu, dass der Hashtag #MeToo weltweit als Kampagne gegen jede Form der sexuellen Übergriffe bekannt und im Netz genutzt wurde.

Chronologie eines Niedergangs

Die Berichte der US-Journalisten Kantor und Farrow führten nicht nur zu einem öffentlichen Aufschrei, sie hatten auch drastische Konsequenzen für Harvey Weinstein und seine Filmproduktionsfirma The Weinstein Company. Weinstein verlor alles, was er über Jahrzehnte als erfolgreicher Filmproduzent aufgebaut hat.

Was geschah aber in der Zeit zwischen den ersten Enthüllungen und dem Vergewaltigungsprozess? Die folgende Chronologie listet die wichtigsten Ereignisse im "Fall Weinstein" bis zur Anklage gegen den Hollywood-Mogul wegen sexueller Übergriffe und Vergewaltigung auf:

● 5. Oktober 2017: Unmittelbar nach der Veröffentlichung von Jodi Kantors erstem Artikel in der "New York Times" sagt Weinstein der amerikanischen Zeitung: "Ich respektiere alle Frauen und bedauere, was passiert ist." Er droht damit, die Zeitung zu verklagen.

● 8. Oktober 2017: Weinstein wird von seiner eigenen Firma The Weinstein Company gefeuert. Gegründet hat sie Weinstein 2005 mit seinem Bruder Bob Weinstein, nachdem sie ihre erste Firma Miramax an den Disney-Konzern verkauft hatten.

● 9. Oktober 2017: Prominente Hollywood-Schauspieler wie George Clooney und Meryl Streep verurteilen die beschuldigten Handlungsweisen des Filmproduzenten als "unverantwortlich".

● 14. Oktober 2017: Nach weiteren Vorwürfen gegen Harvey Weinstein stimmt die Academy of Motion Picture Arts and Science, die Organisation hinter der Oscar-Verleihung, für den Ausschluss des erfolgreichen Filmproduzenten.

● 17. Oktober 2017: Weinstein scheidet auch aus dem Vorstand seines Unternehmens The Weinstein Company aus.

● 11. Februar 2018: Die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates New York erhebt Klage gegen die Weinstein Company und behauptet, dass das Studio es versäumt habe, weibliche Mitarbeiter vor mutmaßlicher sexueller Belästigung und Missbrauch zu schützen.

● 19. März 2018: Die Filmproduktionsfirma The Weinstein Company meldet Konkurs an. Alle Schweigeabkommen Weinsteins mit mutmaßlich betroffenen Frauen seien hinfällig, sie könnten vor Gericht frei sprechen.

● 1. Mai 2018: Die US-Schauspielerin Ashley Judd verklagt Harvey Weinstein.

● 25. Mai 2018: Angeklagt wegen Vergewaltigung und sexueller Übergriffe gegen zwei Frauen stellt sich Weinstein der New Yorker Polizei, gegen Zahlung einer Kaution kommt er auf freien Fuß.

● 5. Juni 2018: Weinstein plädiert auf nicht schuldig. Innerhalb eines Monats wird er in einem dritten Fall angeklagt, in dem er sich ebenfalls nicht schuldig erklärt.

● 23. Mai 2019: Mit den Anklägern gibt es eine "vorläufige" Vereinbarung zur Beilegung der Zivilprozesse wegen sexuellen Fehlverhaltens . Laut Medienberichten soll sich die Summe auf insgesamt mehr als 40 Millionen Dollar belaufen. Die Einigung kommt jedoch nicht zustande, mehrere Klägerinnen lehnen sie ab.

● 25. September 2019: Jodi Kantor und Meghan Twohey, Reporterinnen bei der "New York Times", veröffentlichen das Buch "She Said", in dem sie ausführlich über die Vorwürfe gegen Weinstein berichten sowie über seine Einschüchterungstaktiken, um die Veröffentlichung zu verhindern.

● 5. Oktober 2019: Rowena Chen, eine ehemalige Weinstein-Assistentin, enthüllt in einer Reportage der "New York Times", dass der Filmproduzent ihr gegenüber übergriffig wurde.

● 11. Dezember 2019: Weinstein wird vom Staat New York zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er die elektronische Fußfessel, die er tragen muss, unsachgemäß benutzt hat.

● 11. Dezember 2019: Eine vorläufige Grundsatzvereinbarung zur Beilegung der Zivilklagen von fast 30 Schauspielerinnen und ehemaligen Mitarbeiterinnen gegen Harvey Weinstein wird getroffen. Die Entschädigungssumme, die Weinstein zahlen will, beträgt 25 Millionen Dollar. Es gibt eine Klausel, nach der er keinerlei Schuld eingestehen muss. Nicht alle betroffenen Frauen sind damit einverstanden und planen, sie juristisch anzufechten.

● 6. Januar 2020: Vor einem New Yorker Gericht ist der erste Verhandlungstag des mehrfach vertagten Prozesses angesetzt. Hollywood-Produzent Harvey Weinstein (67) ist in nur zwei Fällen angeklagt, alle anderen Vorfälle sind juristisch verjährt.

● 13./14. Februar 2020: Die Schlussplädoyers im Weinstein-Prozess zeichnen zwei völlig unterschiedliche Bilder: Während Weinsteins Chefanwältin Donna Rotunno in ihrer Ansprache versucht, Zweifel an den Aussagen der gehörten Zeuginnen zu säen und auf unschuldig plädiert, bezeichnet Staatsanwältin Joan Illuzzi-Orbon den Ex-Film-Mogul als "Herr des Universums, der auf Ameisen trat". Sie wirft ihm vor, seine Macht nach dem "Muster eines Raubtiers" missbraucht zu haben.

● 18. Februar 2020: Die Geschworenen ziehen sich zurück, um ihr Urteil zu fällen.

● 24. Februar 2020: Die Jury spricht den früheren Film-Mogul in zwei von fünf Anklagepunkten schuldig: wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung. Von einem weiteren Vorwurf der Vergewaltigung spricht die Jury Weinstein frei, ebenso von zwei Anklagepunkten wegen "raubtierhaften sexuellen Angriffs".

● 10. März 2020: Weinsteins Anwälte bitten um eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren. Der Richter solle die Gesundheit und das Alter des Verurteilten berücksichtigen, heißt es in einem Schreiben, über das die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.

● 11. März 2020: Das Strafmaß ist verkündet worden: Filmproduzent Harvey Weinstein soll für 23 Jahre ins Gefängnis.

● Im Februar 2023 wurde Weinstein in Los Angeles in einem weiteren Prozess wegen Vergewaltigung zu 16 Jahren Haft verurteilt.

● 25. April 2024: Der Oberste Gerichtshof von New York hebt das Weinstein-Urteil vom März 2020 auf und ordnet eine Neuverhandlung an.

Dies ist eine erweiterte Fassung eines früheren Artikels.

Short teaser Ein Gericht in New York hat den Filmproduzenten in zwei Punkten schuldig gesprochen und das Strafmaß verkündet.
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Item 6
Id 68920886
Date 2024-04-25
Title Taliban und Pakistan: Auf die Hoffnung folgt Zerknirschung
Short title Taliban und Pakistan: Auf die Hoffnung folgt Zerknirschung
Teaser Seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan haben sich die Beziehungen der Taliban zu Pakistan dramatisch verändert. Kabul pocht auf seine Eigenständigkeit gegenüber Islamabad.

Im August 2021 fiel die afghanische Hauptstadt Kabul an die Taliban. Das hatte auch Folgen für die Beziehung der nun an der Regierung befindlichen Fundamentalisten zum Nachbarland Pakistan: Sie hat sich seitdem immer weiter verschlechtert.

Viele Experten führen die aktuellen Spannungen auf die Zunahme des von Afghanistan ausgehenden grenzüberschreitenden Terrorismus zurück.

Allerdings haben umgekehrt auch einige Maßnahmen Islamabads das Taliban-Regime verärgert: So hatte Pakistan im vergangenen Jahr einige Handelsbeschränkungen für das Nachbarland erlassen. Zudem hatte es rund 500 000 afghanische Migranten ohne Papiere ausgewiesen sowie strengere Visabestimmungen an den Grenzübergängen eingeführt.

Im vergangenen Monat attackiert die pakistanische Luftwaffe wiederholt Orte in Afghanistan, an denen sie die Verstecke militanter pakistanischer Gruppen vermutete. Dabei wurden acht Menschen getötet. Der Angriff veranlasste die afghanischen Streitkräfte, das Feuer an der Grenze zu erwidern.

Von Hoffnung zu Zerknirschung

Ursprünglich hatte Pakistan gehofft, nach der Machtübernahme durch die Taliban von der bisherigen Zusammenarbeit mit ihnen profitieren zu können, sagt Naad-e-Ali Sulehria, Südostasien-Experte beim Think Tank PoliTact in Washington, im Gespräch mit der DW.

So habe Islamabad etwa darauf gehofft, die Taliban würden gegen die Gruppe Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP) und andere militante pakistanische Organisationen vorgehen und deren Zufluchtsorte auf afghanischem Boden zerstören.

Doch diese Hoffnungen haben sich verflüchtigt, ja mehr noch: Pakistan registrierte einen Anstieg des Terrorismus. Der Grund: Die Rückkehr der Taliban an die Macht ermutigte und stärkte die TTP.

Einem Bericht des in Islamabad ansässigen Zentrums für Forschung und Sicherheitsstudien zufolge stieg die Zahl der Todesopfer infolge militanter Angriffe im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 56 Prozent. Über 1 500 Menschen wurden getötet, darunter 500 Sicherheitskräfte.

Erst in der vergangenen Woche wurden bei zwei Anschlägen in zwei unruhigen Bezirken der Provinz Khyber Pakhtunkhwa zwei Polizisten getötet und sechs verletzt.

Pakistan und die Taliban: eine komplexe Beziehung

Die seit langem bestehenden Beziehungen Pakistans zu den Taliban sind komplex und vielfach widersprüchlich. Infolge historischer Ereignisse und strategischen Kalküls haben sie zudem zahlreiche Wandlungen durchlaufen.

Die beiden Länder haben, vor allem im paschtunisch geprägten Grenzgebiet, enge kulturelle Verbindungen, liegen miteinander aber wegen der 1893 von den Briten gezogenen 2.640 Kilometer langen Grenze, der sogenannten Durand-Linie, im Streit.

Die Linie teilte das Land der paschtunischen Stämme. Darüber entstand die Idee eines unabhängigen Staates "Paschtunistan", der die paschtunischen Gebiete auf beiden Seiten der Grenze umfassen sollte. Doch dieser Staat kam nie zustande. Der Streit aber schwelt bis heute weiter.

Infolge der sowjetischen Invasion in Afghanistan im Jahr 1979 knüpfte Islamabad enge Beziehungen zu muslimischen Extremisten jenseits der Grenze.

„Aus Sorge vor dem sowjetischen Einfluss wurde Pakistan zu einem wichtigen Durchgangsland für die westliche Hilfe für die afghanischen Mudschaheddin, also jene Rebellengruppen, die gegen die Sowjets kämpften", sagt der in Islamabad lebende Historiker Ubaidullah Khilji.

Nach dem Abzug der Sowjets stürzte Afghanistan in einen Bürgerkrieg. Der brachte eine neue islamistische Gruppierung hervor: die Taliban. Pakistan erkannte 1996 zusammen mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten das Taliban-Regime an und gewährte ihm militärische Unterstützung und weitere Hilfen.

Als die USA und ihre Verbündeten Afghanistan nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 besetzten, brach das Regime der Taliban Ende jenen Jahres zusammen.

Einige Mitglieder der Gruppe fanden Zuflucht in Pakistan, insbesondere in den Grenzregionen. Zwar kooperierte Islamabad nach dem 11. September 2001 mit den USA. Doch gilt es als ausgemacht, dass Teile der pakistanischen Elite die Taliban heimlich unterstützten - ein Umstand, der sich als entscheidend für deren Überleben und ihre Rückkehr an die Macht im August 2021 erwies.

„Die Taliban nutzten Pakistan als sicheren Zufluchtsort, um ihren Aufstand in Afghanistan zu unterstützen. Diesen Umstand wertete Pakistan als Möglichkeit, dem indischen Einfluss in Afghanistan entgegenzuwirken", sagt ein Taliban-Beamter im Kabuler Bildungsministerium, der anonym bleiben möchte. "Es war eine Beziehung zum beiderseitigen Nutzen."

Neue Ära in Kabul

Mit der Rückkehr der Taliban an die Macht hat sich diese Dynamik erheblich verändert. Die Taliban seien auf Pakistan nicht mehr länger angewiesen, sagt Adam Weinstein, Nahost-Experte am Think Tank Quincy Institute. "Vielmehr behaupten ihre Unabhängigkeit und weigern sich, sich Pakistan unterzuordnen oder dessen Forderungen zu erfüllen."

Die Taliban-Führer sind sich der früheren Unterstützung durch Pakistans zwar bewusst. Dass Pakistan Taliban-Führer nun schikaniert, verhaftet und an die USA ausliefert, sehen sie als Beweis für die Doppelzüngigkeit Islamabads.

"Ein hartes Vorgehen gegen die TTP, wie von Pakistan gefordert, könnte eine Gegenreaktion innerhalb der Taliban selbst auslösen", so der anonyme Taliban-Vertreter. Einige TTP-Mitglieder könnten womöglich zur Gruppe "Islamischer Staat Khorasan" (ISIS-K) überlaufen. Diese bekämpft die Taliban innerhalb Afghanistans.

Taliban auf der Suche nach neuen Verbündeten

Während die Beziehungen zu Pakistan abkühlen, sind die Taliban bereits dabei, neue Partnerschaften zu schmieden. Die westlichen Mächte zögern noch, auf entsprechende Angebote der Taliban einzugehen. Russland, Iran, Indien und einige zentralasiatische Staaten hingegen gehen vorsichtig auf das Regime zu.

Bereits jetzt erhalte die Taliban-Regierung erhebliche Einnahmen aus ausländischen Investitionen, sagt Sulehria vom Think Tank PoliTact. Dies gelte insbesondere mit Blick auf China, dass die reichhaltigen Bodenschätze Afghanistans abbaut.

„Zudem wenden sich die Taliban an Iran, um Zugang zum internationalen Handel zu erhalten. Das deutet darauf hin, dass sie bestrebt sind, ihre Partnerschaften zu diversifizieren", so Sulehria zur DW.

"Tatsächlich unterstützten Afghanistans Nachbarn und die internationale Gemeinschaft die Taliban sowohl direkt als auch indirekt", sagt Weinstein vom Quincy Institute im Gespräch mit der DW. "Dies geschieht durch Handel, Hilfe und diplomatische Kanäle." Der Grund für die Unterstützung liege auf der Hand: "Alternativen zur Herrschaft der Taliban sieht die Welt mit Sorge entgegen. Man fürchtet einen Bürgerkrieg, eine noch stärkeren ISKP sowie allgemeine Instabilität."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Short teaser Seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan haben sich die Beziehungen der Taliban zu Pakistan dramatisch verändert.
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Image caption Angespannte Situation: Grenzübergang zwischen Pakistan und Afghanistan
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Item 7
Id 68919225
Date 2024-04-25
Title Gefälschte Euro-Münzen aus Spanien
Short title Gefälschte Euro-Münzen aus Spanien
Teaser In Spanien ist eine Falschmünzerei ausgehoben worden. Zehn Personen, allesamt Chinesen, sollen Euro-Münzen gefälscht und in ganz Europa in Umlauf gebracht haben. Wie kann man gefälschte falschen Münzen erkennen?

Das Geld, mit dem wir bezahlen, ist nur bedrucktes Papier oder geprägtes Metall. Ist es elektronisch, wie zunehmend üblich, ist es nicht mehr als eine elektronische Datei. Der eigentlicher Wert des Geldes besteht in dem Vertrauen, das ihm entgegen gebracht wird: Jeder Mensch soll sich darauf verlassen können, dass das Papier oder das Metall genau den Gegenwert hat, der ihm aufgedruckt oder eingeprägt ist.

Durch das Fälschen von Zahlungsmitteln entsteht ein gesamtwirtschaftlicher Schaden, der alle Menschen betrifft. Jene, die durch einen Zufall mit Falschgeld bezahlt werden oder es als Wechselgeld erhalten, kostet es auch: Denn Falschgeld wird eingezogen und man hat kein Recht auf einen finanziellen Ausgleich. Beim Geldfälschen versteht ein Staat keinen Spaß: Falschmünzerei ist kein Kavaliersdelikt.

Bedeutender Ermittlungserfolg

Am Mittwoch meldet die Deutsche Presseagentur, die Policía Nacional in Spanien habe eine Geldfälscherbande zerschlagen, die in ganz Europa falsche Zwei-Euro-Münzen in Umlauf gebracht haben soll. Mit Hilfe der supranationalen Polizeiorganisation EuropoI sei es gelungen, in der Provinzhauptstadt Toledo eine Fälscherwerkstatt auszuheben, die "die wichtigste der vergangenen zehn Jahre in Europa" sei, so die Polizei.

Die Bande habe fast 500.000 gefälschte Münzen "von hoher Qualität" auf den europäischen Markt gebracht. Zehn Menschen, die ausnahmslos chinesische Staatsbürger Chinas sein sollen, seien festgenommen worden. Die Policía Nacional teilte mit, sie ermittle bereits seit sechs Jahren an diesem Fall. Die Ermittlungen, zitierte die dpa die Beamten "waren äußerst schwierig und langwierig, nicht zuletzt wegen der Geheimhaltung innerhalb der Organisation sowie wegen der praktisch nicht vorhandenen Rückverfolgbarkeit, die für Falschmünzen charakteristisch ist".

Auch wenn der volkswirtschaftliche Schaden in diesem konkreten Fall nicht sehr groß gewesen sein dürfte (ein halbe Million falscher Zwei-Euro-Münzen hat lediglich einen Gegenwert von rund einer Million Euro), ist der Erfolg der Polizei nicht gering zu schätzen. Wer unbehelligt über einen langen Zeitraum hinweg gefälschte Münzen erfolgreich in Umlauf bringt, kann seine Energie und Expertise ja auch erweitern. Vor allem ist hier der psychologische Aspekt, den Bürgern versichern zu können, ihr Geld sei sicher und behalte seinen Wert, wichtig.

Auch Münzen sind relativ sicher

Gefälschte Geldscheine kann man relativ einfach erkennen. Die Sicherheitsvorkehrungen, die die Notenbanken getroffen haben, sind ausgeklügelt und gut kommuniziert. Beinahe jeder weiß um ihre "Sicherheitsfeatures" - um den Sicherheitsfaden, die eingearbeiteten Hologramme, die nur schwer zu kopierenden Hintergründe, die Qualität des Papiers. Oder glaubt wenigstens, es zu wissen. Der eine oder andere wird seine Fähigkeiten dabei sicherlich auch überschätzen. Bei Münzen sieht das zwar anders aus, denn bei ihnen gibt es keine Hologramme oder Sicherheitsfäden. Aber es gibt auch beim "Kleingeld" Dinge, die ein Fälscher oft nicht hinbekommt und auf die es sich zu achten lohnt.

Wie erkenne ich falsche Münzen?

In Deutschland ist die Bundesbank für die deutschen Euro-Münzen verantwortlich. Sie gibt auf ihrer Internetseite "Leitfaden Münzen" Hinweise zur Sicherheit der Geldstücke. "Um Fälschungen von echten Münzen unterscheiden zu können, braucht man kein Münzfachmann zu sein", erfährt man dort. Die Bundesbanker geben konkrete Hinweise, wie man Geldstücke beurteilen kann. Für Profis ist das kein Problem, denn "für Münzprüfgeräte" gebe es einen europaweit einheitlichen Test. "Die erfolgreich getesteten Geräte sind auf der Internetseite der Europäischen Kommission zu finden."

Dem Laien hilft das natürlich nicht, ihnen empfehlen die Währungshüter, "auf den ersten Eindruck" zu achten. So hebe sich normalerweise "das Münzbild deutlich von der übrigen Münzoberfläche ab." Alle Konturen seien "klar erkennbar". Vorsicht, wenn das nicht zutrifft: Bei Fälschungen "wirkt das Münzbild oft unscharf und weich ausgeprägt. Die Oberfläche ist narbig und weist Flecken, Sprenkeln, Linien oder Einkerbungen auf."

Auf einen anderen Umstand sollte man auf jeden Fall achten: Zur Sicherheit und auch, um blinden Personen das Erkennen von Münzen zu erleichtern, ist der Münzrand charakteristisch eingekerbt. "Im Gegensatz zu Falschmünzen, bei denen die Randschrift oft nur undeutlich eingeprägt ist und von der Riffelung im Münzrand überdeckt wird, ist bei echten Zwei-Euro-Münzen die Randschrift deutlich zu erkennen. Auch die Abstände zwischen den einzelnen Symbolen und Wörtern weichen bei Falschmünzen häufig von denen echter Münzen ab."

Der Trick mit dem Magneten

In der Bundesbank-Zentrale scheint man davon auszugehen, dass jeder Mensch einen Magneten mit sich herumträgt. Ob das so ist, sei dahingestellt, doch ist dieser Hinweis für Magnetträger auf jeden Fall hilfreich: "Aufgrund eines speziellen Sicherheitsmaterials ist der Mittelteil der Ein- und Zwei-Euro-Münzen leicht magnetisch, das heißt: Die Münzen werden von einem Magneten leicht angezogen und fallen bei leichtem Schütteln wieder vom Magneten ab."

Aber: "Der äußere Münzring der echten Ein- und Zwei-Euro-Münzen sowie der echten 10-, 20- und 50-Cent-Münzen ist nicht magnetisch", wissen die Fachleute und fügen hinzu: "Echte Ein-, Zwei- und Fünf-Cent-Münzen aus kupferbeschichtetem Stahl sind stark magnetisch." Doch neben einem Magneten sollte man auch einen Zettel einstecken, auf dem man sich alle physikalischen Parameter notiert. Dann wird man auch nicht übertölpelt, denn "die gefälschten Ein- und Zwei-Euro-Münzen sind entweder nicht magnetisch oder werden von einem Magneten stark angezogen. Häufig ist auch das Material des Münzrings magnetisch."

Short teaser In Spanien ist eine Falschmünzerei ausgehoben worden. Wie kann man gefälschte falschen Münzen erkennen?
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Image caption Euromünzen im Portemonnaie - wenn die mal alle echt sind ...
Image source Robin Utrecht/picture alliance
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Item 8
Id 68910591
Date 2024-04-25
Title Automesse Peking: Letzte Chance für deutsche Hersteller?
Short title Automesse Peking: Letzte Chance für deutsche Hersteller?
Teaser In Peking startet die weltweit wichtigste Automesse. Denn China ist für viele Autohersteller der wichtigste Markt der Welt. Das gilt vor allem für Volkswagen. Größter Konkurrent dort sind: die Chinesen.

In keinem anderen Land werden so viele Elektroautos verkauft wie in China. Und in keinem anderen Land tobt derzeit ein vergleichbar erbitterter Preiskampf, um dabei die Nase vorn zu haben oder vorn zu halten. "Im April haben wir eine weitere Runde von Preissenkungen gesehen, der heftige Preiswettbewerb wird in den nächsten Jahren anhalten", sagte VW-Vorstandsmitglied Ralf Brandstätter vor der am Donnerstag beginnenden Automesse in Peking.

Dabei will sich Volkswagen laut Brandstätter in den kommenden beiden Jahren auf den anhaltenden Preiswettbewerb vorbereiten – und das Geschäft mit seinen E-Autos mit den nach wie vor gut laufenden Verkäufen von Verbrenner-Autos finanzieren. Das bedeute für Volkswagen allerdings auch zwei schwere Jahre. Dem stimmt der unabhängige Auto-Analyst Jürgen Pieper zu. "Der Volkswagen-Konzern steht in China gewaltig unter Druck und wird sich diesem sehr harten Preiswettbewerb stellen müssen. In rund zwei Jahren sollte man die Kurve kriegen. Aber das ist im Moment mehr Hoffnung als fester Glaube."

BYD verkauft in China mehr Autos als VW

China ist der wichtigste Absatzmarkt der deutschen Autohersteller Volkswagen, Mercedes und BMW. Ein Absatzmarkt, den sie in der Vergangenheit mit ihren Verbrennern dominiert haben. Chinesische Hersteller konnten nie mit der historisch langen Tradition und der ausgereiften filigranen Technik von Autos "Made in Germany" mithalten. Nur sieht die Sache bei E-Autos nun anders aus. So hat etwa BYD Volkswagen als den Konzern, der im Reich der Mitte die meisten Autos verkauft, abgelöst.

BYD steht für "Build Your Dreams". Erwachsen sind die Träume auf der grünen Wiese der E-Mobilität. Ausgemalt und vergrößert wurden die Träume auch mithilfe staatlicher Subventionen. Doch mit mindestens ebenso viel Erfindergeist haben sich die Träume mittlerweile tatsächlich auf Chinas Straßen materialisiert. Softwareentwicklung und Technik treffen offenbar den Geschmack: BYD hat mittlerweile einen Marktanteil von 25 Prozent bei Elektroautos. Zum Vergleich: Der E-Auto-Pionier Tesla bringt es auf knapp 12 Prozent, Volkswagen bringt es nicht einmal mehr auf fünf Prozent. Und BYD hat technologisch mit seinen Batterien einen deutlichen Vorsprung.

Dabei ist diese Entwicklung in ihrer Brisanz kaum zu unterschätzen. Denn bereits in diesem Jahr erwartet man in China, dass der Anteil von E-Autos an allen verkauften Fahrzeugen bei rund 40 Prozent liegen wird. Im kommenden Jahr soll jedes zweite Auto, das in China verkauft wird, bereits ein Stromer sein.

Schwache Nachfrage nach E-Autos weltweit

Nicht nur für deutsche Autohersteller kommt erschwerend hinzu, dass in jüngster Zeit auch der vorher boomende Automarkt in China an Fahrt verloren hat. Dabei treffen die Auswirkungen dieser Entwicklungen die deutschen Hersteller unterschiedlich. Während Volkswagen derzeit am meisten zu kämpfen hat, sind Hersteller wie BMW oder Mercedes weniger betroffen. Sie sind eher im Markt für hochpreisige Modelle unterwegs - und da können sie, soweit abzusehen, mit anderen Herstellern mithalten.

Beim E-Auto-Pionier Tesla warten dagegen mittlerweile viele produzierte Autos auf den Höfen auf Kaufinteressenten. Die vergleichsweise schwache Nachfrage in China und die Konkurrenz chinesischer Autobauer, die auch preiswertere Modelle in ihrem Angebot haben, führt zu Rabattschlachten bei den Herstellern, was die Margen stark eingrenzt.

Dabei schwächelt aber auch in Deutschland der Verkauf von Elektroautos. Im Nachgang der hohen Inflation halten sich Verbraucher mit dem Kauf von Neuwagen zurück, die Ladeinfrastruktur ist gelinde gesagt lückenhaft und dann sind E-Autos im Vergleich zu Verbrennern noch sehr teuer. Hinzu kommt die zuletzt schwächelnde Konjunktur, die die Nachfrage bremst und vergleichsweise hohe Zinsen, die die Finanzierung neuer Autos erschweren. Nach jüngsten Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) ist die Zahl an Neuzulassungen reiner Elektroautos im ersten Quartal dieses Jahres um mehr als 14 Prozent zurückgegangen.

Tesla und VW straffen Kosten

Auf den schleppenden Absatz seiner Fahrzeuge hat Tesla in den vergangenen Tagen reagiert: Sein exzentrischer Chef Elon Musk hat angekündigt, weltweit jede zehnte Stelle im Konzern abbauen zu wollen. Am Vorabend der Automesse in Peking hat Tesla den ersten Umsatzrückgang in einem Quartal seit vier Jahren ausgewiesen. Die Gewinne haben sich halbiert. Auch die Auslieferungen an neuen Fahrzeugen lagen im ersten Quartal dieses Jahres um knapp neun Prozent unter dem Vorjahr. Am vergangenen Wochenende hatte Tesla nochmals die Preise für einige seiner Modelle gesenkt.

Auch in Wolfsburg sieht man Handlungsbedarf im Unternehmen. So hat Volkswagen vor wenigen Tagen eine interne Mitteilung verschickt und angekündigt, die Personalkosten in der Verwaltung um 20 Prozent senken zu wollen. Erreichen will man das etwa durch eine Ausweitung von Altersteilzeit oder Abfindungen für jüngere Beschäftigte in der Verwaltung.

Die Neuordnung des Automarktes nimmt weiter Fahrt auf. Nächster Stopp: Die Automesse in Peking.

Short teaser China ist für viele Autohersteller der wichtigste Markt der Welt. Das gilt vor allem für Volkswagen.
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Image caption Auftakt zur Automesse Peking 2024, hier bei Volkswagen
Image source Thomas Peter/REUTERS
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Item 9
Id 68913614
Date 2024-04-25
Title Proteste in Argentinien: Wie angezählt ist Präsident Milei?
Short title Proteste in Argentinien: Wie angezählt ist Präsident Milei?
Teaser Hunderttausende haben gegen den radikalen Sparkurs von Javier Milei protestiert. Der ultraliberale Präsident will Argentiniens Haushalt um jeden Preis sanieren. Beim Bildungssektor hat er womöglich den Bogen überspannt.

Die Motorsäge ist das Symbol seiner Politik: Präsident Javier Milei will den argentinischen Staat und seine Ausgaben auf ein Minimum zurechtstutzen. Mit dieser Devise war er in den Wahlkampf gezogen, so hat er die Wahl im November 2023 gewonnen, und so verfährt er nun auch.

Nach 15 Jahren defizitärer Haushaltspolitik und drei Staatspleiten in 25 Jahren hat sich die argentinische Wählerschaft mehrheitlich auf die offen angekündigte Rosskur eingelassen. Doch nun scheint der Rückhalt zu bröckeln. Am Dienstag sind in Argentinien landesweit Hunderttausende auf die Straße gegangen, um gegen die radikale Sparpolitik zu protestieren.

Historische Massendemonstrationen

Allein in der argentinischen Hauptstadt versammelten sich nach Polizeiangaben rund 100.000 Demonstranten, die Universität von Buenos Aires sprach von mehr als 500.000. Die tatsächliche Zahl dürfte wie so oft in der Mitte liegen.

Hinzu kamen Kundgebungen in vielen weiteren Universitätsstädten verstreut über das ganze Land, darunter Tucuman, Cordoba, Corrientes und Ushuaia. Sogar vor dem argentinischen Konsulat in Barcelona (Spanien) solidarisierten sich Menschen mit den Demonstranten auf der anderen Seite des Atlantiks. Einige Medien zählen die Proteste zu den größten seit 20 Jahren.

Ein Warnschuss für Milei

Proteste gegen die Regierung von Javier Milei gibt es praktisch seit Beginn seiner Amtszeit Anfang Dezember. Viele davon seien "bedeutende Demonstrationen" gewesen, sagt Facundo Cruz, Politologe von der Universität Buenos Aires: "Aber sie gingen alle von bestimmten politischen Sektoren aus."

Im Januar etwa rief die größte Gewerkschaft des Landes CGT einen Generalstreik aus. Die CGT ist eng mit der peronistischen "Unión por la Patria" (Einheit für das Vaterland) verbunden. Die größte Oppositionspartei hat unter anderem mit Cristina Fernandez de Kirchner an der Spitze in den letzten 20 Jahren Argentiniens Politik dominiert.

In dieser Woche aber, sagt Cruz, sei es anders gewesen: "Diese Demonstration war sektorübergreifend. In vielen Landesteilen waren sogar Menschen dabei, die die Regierung gewählt haben und sich in Umfragen weiterhin für sie aussprechen würden."

Streit um die Hochschulfinanzierung

Maßgeblich für die Beteiligung über das gesamte politische Spektrum hinweg, sagt Cruz, sei der Grund für den Protest: Die Regierung hatte das Budget der öffentlichen Universitäten nominal auf dem Vorjahresniveau belassen. Nach einer Inflation von 280 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten bedeutet dies eine reale Kürzung von rund 65 Prozent.

"Für die argentinische Gesellschaft unterschied sich Argentinien vom Rest Lateinamerikas immer dadurch, dass die kostenlose öffentliche Bildung ein Garant der sozialen Mobilität war", erklärt die argentinische Politologin Mariana Llanos vom Hamburger GIGA Institut für Lateinamerika-Studien. "Die Argentinier können sich mit vielen Einschnitten arrangieren, aber die Bildung ist ein sehr sensibles Thema." Milei habe sich mit diesen drastischen Einsparungen ein Eigentor geschossen.

Wie beliebt ist Milei nach fünf Monaten im Amt?

Dass viele Argentinier, wie Llanos sagt, zu Opfern bereit seien, um Staatshaushalt und Wirtschaft wieder auf sichere Füße zu stellen, zeige sich auch in Mileis Zustimmungswerten: Selbst nach massiven Einschnitten und einer Entlassungswelle im öffentlichen Dienst sprechen sich weiterhin rund 50 Prozent der Argentinier für den ultraliberalen Reformkurs der Regierung aus.

Allerdings drückt nahezu die ganze übrige Hälfte auch ihre Ablehnung aus. Unschlüssig gegenüber Milei haben sich in Umfragen selten mehr als fünf Prozent der Befragten geäußert. Ein deutliches Zeichen für die Spaltung der argentinischen Gesellschaft, sagt Politologe Cruz.

Historisch fragil ist Mileis Position in der Legislative: Von den 329 Sitzen im argentinischen Kongress hat Mileis Partei "La Libertad Avanza" (Die Freiheit kommt voran) gerade einmal 45 inne (14 Prozent). Die Opposition sei geteilt, sagt Politologin Llanos. Mit der einen Hälfte könne Milei verhandeln, mit der anderen nicht.

Kann sich Milei im Amt halten?

Auch deshalb spekulieren Beobachter seit seiner Amtsübernahme darüber, wie lange sich der unkonventionelle Politiker wohl im Amt halten wird. Facundo Cruz sieht derzeit allerdings niemanden, die bereit und in der Position wäre, Mileis schwieriges Erbe anzutreten. Der amtierende Präsident hat eine grassierende Inflation und hohe Arbeitslosigkeit von seinen Vorgängern geerbt. Zudem gebe es in der Opposition keinen Konsens über einen politischen Gegenvorschlag, so Cruz. Solange die Zustimmung für ihn in der Bevölkerung so hoch bleibe wie bisher, sehe er daher nicht, dass Milei demnächst aus dem Amt gejagt werden könne.

Ähnlich schätzt Brian Winter, Chefredakteur des US-Politikmagazins "America's Quarterly", die aktuelle Situation ein. Er gibt aber zu bedenken: "Ein Präsident der kein Peronist ist, kann sich nie sicher sein. Insbesondere, wenn er den Haushalt derart zusammenkürzt." Bei den Protesten vom 23. April sei es allerdings nicht um Mileis grundsätzlichen Kurs gegangen, so Winter, sondern darum, wo gekürzt werden soll. Und wo eben nicht.

Für Mariana Llanos sind die drastischen Einsparungen im Bildungssektor ein großer und vor allem vermeidbarer politischer Fehler, der einen Wendepunkt markieren könnte: "Milei ist ein intelligenter Mann. Vielleicht wird er den Fehler auf irgendeine Weise korrigieren."

Short teaser Präsident Milei will Argentiniens Haushalt radikal sanieren. Beim Bildungssektor hat er womöglich den Bogen überspannt.
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Image caption Proteste gegen Einsparungen an den Universitäten: Demonstrationen gab es im ganzen Land. Allein hier in der Hauptstadt Buenos Aires sollen es mehrere Hunderttausend Teilnehmer gewesen sein
Image source Rodrigo Abd/AP/picture alliance
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Item 10
Id 68913937
Date 2024-04-24
Title Steinmeier in der Türkei: Am Ende ein Lächeln mit Erdogan
Short title Steinmeier in der Türkei: Am Ende ein Lächeln mit Erdogan
Teaser Das Fazit der Türkei-Reise von Deutschlands Bundespräsident Steinmeier fällt positiv aus. Es gab keinen öffentlichen Dissens mit Präsident Erdogan. Beide wollten die unterkühlten Beziehungen wieder erwärmen.

Am dritten und letzten Tag des Türkei-Besuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lag der Fokus auf dem Treffen der beiden Präsidenten. Die Journalistinnen und Journalisten warteten mehr als zwei Stunden, bis Steinmeier und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zur Pressekonferenz erschienen. Beide traten mit einem Lächeln vor die Kameras. Von einem - durchaus möglichen - Eklat war nichts zu spüren. Sichtlich entspannt scheinen die Konsultationen vonstatten gegangen zu sein. Was war passiert? Keine kontroversen Diskussionen zu Gaza? Keine Einordnung der Hamas? Kein Fingerzeig, was die Deutsche Staatsräson angeht?

Erdogan: "Der Krieg im Nahen Osten muss beendet werden"

In seinem Statement wurde Erdogan deutlich: "Der israelische Ministerpräsident verlängert den Krieg in Gaza, um politisch am Leben zu bleiben. Das Leid der Palästinenser muss beendet werden." In der Vergangenheit hatte der türkische Staatschef den israelischen Premier Benjamin Netanjahu schon oft beschimpft, ihm sogar Nazi-Methoden unterstellt. Auf meine Frage, weshalb die Türkei trotz allem noch immer intensive wirtschaftliche Beziehungen mit Israel unterhalte, antwortete Erdogan einsilbig: "Das ist vorbei!"

Türkische Kolleginnen und Kollegen sagten mir später: "Er lügt, ohne rot zu werden." Erdogan könne gar nicht auf den Wirtschaftspartner Israel verzichten. Seine Worte sollten nur die Bevölkerung in der Türkei besänftigen.

Steinmeier: "Wir müssen gemeinsam humanitäre Hilfe leisten"

Bei Steinmeiers Rede zeigten sich dann doch die Unterschiede in den Positionen zum Nahost-Konflikt. Erdogan sprach nur das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen an und wiederholte mehrfach die Zahl der Toten und Verletzten Palästinenser. Der deutsche Gast hingegen machte deutlich, dass die militant-islamistische Hamas am 7. Oktober den Krieg begonnen hat. Die Palästineserorganisation Hamas wird von Israel, Deutschland, der Europäischen Union, der USA und einigen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestuft.

Doch Steinmeier betonte auch, dass die humanitäre Unterstützung der leidenden palästinensischen Bevölkerung nur gemeinsam mit der Türkei und Erdogan erfolgen könne. Bereits zum Auftakt hatte er vom "Ernst" seiner Reise gesprochen, und dass bei Erdogan "alle Themen auf den Tisch" kommen müssten. Wie kontrovers diese Themen diskutiert wurden, wird ein diplomatisches Geheimnis bleiben.

Onay: "Wir haben die ersten Samen gesät"

Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay, der zur Delegation des Bundespräsidenten gehörte, zieht ein positives Reisefazit: "Ich denke, wir haben kleine Schritte gemacht, um die seit sehr langer Zeit belasteten Beziehungen unserer Länder zu verbessern. Wir haben die ersten Samen säen können, um eine deutsch-türkische Freundschaft, wie sie einmal war, ernten zu können."

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler spricht ebenfalls von einer erfolgreichen Reise - und verweist dabei auf die Gespräche mit Vertretern der Zivilgesellschaft und Oppositionspolitikern in Istanbul und Ankara. Auch der Austausch zwischen Erdogan und Steinmeier sei eine gute Basis, so Güler: "Erdogan war erstaunlicherweise sehr mild." Dies habe wohlmöglich viel mit der Person Steinmeier zu tun.

Lindner: "Hoffnung für die türkische Wirtschaft"

Bundesfinanzminister Christian Lindner wertet die Reise ebenfalls als Erfolg. Unter anderem traf der FDP-Politiker mit seinem türkischen Kollegen Mehmet Simsek zusammen und bei einer Fahrt über den Bosporus mit Vertretern deutscher Unternehmen (Bosch, Siemens, DHL, Mercedes), die in der Türkei aktiv sind: "Wenn sich die türkische Wirtschafts- und Finanzpolitik mittelfristig erholt, werden die Ergebnisse auch einen Einfluss auf deutsche Unternehmer haben, die dann wieder in eine starke Türkei investieren werden", sagte Lindner der DW. Die Aussagen von Simsek weckten Hoffnungen für die türkische Wirtschaft, denn die angekündigten Bemühungen der türkischen Regierung seien vielversprechend.

300 Millionen Euro Kredit für Erdbebengebiet

Zu erwähnen bleibt noch der Tagesbesuch der vom Erdbeben schwer zerstörten südostanatolischen Provinzhauptstadt Gaziantep und der sich in der Nähe befindenden Stadt Nurdagi. Mehrere 10.000 Menschen verloren dort im Februar 2023 ihre Familien, ihre Häuser, ihre Existenzen. Seit mehr als 14 Monaten hausen Überlebende wie Ahmet Atilgan in einem engen Containerdorf. Für ihn sei das Wichtigste, sagt Atilgan, dass er am Leben sei und hoffentlich bald eine Wohnung beziehen könne.

Auch der 90-jährige Abdullah Kapi dankt Gott, dass er noch lebt. Auf eine neue Wohnung müsse er aber noch warten, erzählt er mit zittriger Stimme. Die AKP-Bürgermeisterin von Gaziantep, Fatma Sahin, verkündete, dass mehr als 300 Wohnungen bereits an Mieter und Eigentümer übergeben worden seien. Weitere 2000 sollten binnen Jahresende fertig werden - so Gott will, so wie Abdullah Kapi sagt.

Für weitere Unterstützung der türkischen Regierung, wie etwa zum Wiederaufbau von Bildungseinrichtungen, hat die Bundesregierung einen "ungebundenen Finanzkredit in Höhe von 300 Millionen Euro" bereitgestellt. Ungebunden bedeutet, dass er rein politisch ist. Das Geld wurde, nach Aussage von Beteiligten, bereits vor den Präsidentschaftswahlen in der Türkei im vergangen Jahr in Aussicht gestellt. Am Ende sind Freunde eben doch Freunde.

Short teaser Das Fazit des dreitägigen Besuchs des deutschen Bundespräsidenten fällt positiv aus. Es gab keinen öffentlichen Dissens.
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Image URL (460 x 259) https://static.dw.com/image/68911006_302.jpg
Image caption Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l.) und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan in Ankara.
Image source Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance
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Item 11
Id 68865611
Date 2024-04-24
Title 50 Jahre nach der Nelkenrevolution in Portugal: Afrika gehört zur Staatsräson
Short title Nelkenrevolution in Portugal: Afrika gehört zur Staatsräson
Teaser Die Nelkenrevolution war ein Wendepunkt in der Geschichte Portugals und seiner ehemaligen Kolonien. 50 Jahre danach sind vor allem die kulturellen Beziehungen und Begegnungen in den lusophonen Ländern intensiver denn je.

Sie wurde von einer linken "Bewegung der Streitkräfte" angeführt und von der großen Bevölkerungsmehrheit Portugals unterstützt: Die Nelkenrevolution beendete nicht nur die fast 50 Jahre währende Diktatur der Machthaber Salazar und Caetano - sie ebnete auch den Weg für das Ende der portugiesischen Kolonialkriege und die Unabhängigkeit von Angola, Mosambik, Guinea-Bissau, Kap Verde und São Tomé und Príncipe. Die fünf lusophonen Länder Afrikas blicken in diesem Jahr mit besonderem Interesse auf Lissabon, wo am 25. April 2024 der 50. Jahrestag der Nelkenrevolution gemeinsam begangen werden soll.

Angola: Nelkenrevolution ermöglichte Verhandlungen

"In Angola erweckt die Nelkenrevolution positive Gefühle", sagt der Analyst Nkikinamo Tussamba, der selbst 13 Jahre später in der nordangolanischen Provinz Zaire geboren wurde. Für ihn ist klar: "Die portugiesische Revolution hat den Unabhängigkeitsprozess unseres Landes maßgeblich beeinflusst. Dank ihr konnte die Unabhängigkeit unseres Landes bereits anderthalb Jahre später - am 11. November 1975 - proklamiert werden."

Tatsächlich wurden im Zuge des Regimewechsels in Lissabon direkte Verhandlungen zwischen der portugiesischen Regierung und den Unabhängigkeitsbewegungen in Angola aufgenommen. Im Januar 1975 unterschrieb die Regierung Portugals im südportugiesischen Algarvestädtchen Alvor Unabhängigkeitsabkommen mit den drei Befreiungsorganisationen Angolas MPLA, UNITA und FNLA.

Mosambik: Abkommen mit Portugal kurz nach der Nelkenrevolution

Auch für Mosambik war der 25. April ein Meilenstein, bestätigt der Journalist Fernando Lima: "Die Nelkenrevolution war ausschlaggebend dafür, dass die Befreiungsfront FRELIMO im September 1974 in Lusaka ein Unabhängigkeitsabkommen mit Portugal unterschreiben konnte." Als in Mosambik geborener Sohn portugiesischer Siedler entschied sich Lima nach der Unabhängigkeit für die mosambikanische Staatsangehörigkeit, also dafür, "als Afrikaner in Afrika" zu bleiben.

Anders Fernando Cardoso, Professor für Internationale Beziehungen und Geopolitik an der Autonomen Universität Lissabon: Er wuchs zu Kolonialzeiten ebenfalls in Mosambik auf, siedelte aber kurz nach der Unabhängigkeit mit seinen Eltern nach Lissabon über. Als Erwachsener reiste er dann als Dozent und Leiter von mehreren Forschungsprojekten nach Mosambik, Angola und Kap Verde.

Wachsender Druck auf die Kolonialmacht Portugal

Die Nelkenrevolution habe die Dekolonisierung "ohne Zweifel" beschleunigt, sagt Cardoso. Aber: "Die Unabhängigkeit der portugiesischen Kolonien wäre auch ohne die Nelkenrevolution in Portugal früher oder später eingetreten." Das portugiesische Kolonialimperium sei in den 1970-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts international als "großer Anachronismus" angesehen worden.

Die internationale Gemeinschaft habe damals enormen diplomatischen Druck auf Portugal, die "erste und letzte Kolonialmacht in Afrika", ausgeübt: Praktisch die gesamten Vereinten Nationen (UN) hätten Portugal in mehreren Resolutionen aufgefordert, seine Kolonien in die Unabhängigkeit zu entlassen, so der Politikwissenschaftler.

Auch der militärische Druck auf Portugal wurde erhöht: Angolas Befreiungsorganisationen MPLA, UNITA und FNLA bekamen immer größere Waffenlieferungen und militärische Ausbildung aus der Sowjetunion und anderen Ländern des Ostblocks, aber auch aus China. Vor allem im ländlichen Raum konnten sie so Druck auf die Kolonialmacht ausüben.

In Mosambik rückten die Kämpfer der Befreiungsbewegung FRELIMO immer weiter vom Norden in Richtung Mitte des Landes vor. Es galt nur als eine Frage der Zeit, bis die portugiesische Kolonialarmee die Kontrolle über weite Gebiete des Landes verlieren würde.

Allein was mit São Tomé und Príncipe und den Kapverdischen Inseln ohne die Nelkenrevolution geschehen wäre, ist nach Meinung von Cardoso nicht ganz klar: "In beiden Archipelen gab es keine bewaffneten Befreiungsbewegungen, wohl aber laute Stimmen, die eine umfassende Autonomie oder gar die vollständige Unabhängigkeit der Inseln forderten."

Guinea-Bissau: tonangebend für Portugal und die Kolonien

In Guinea-Bissau war der Unabhängigkeitsprozess am weitesten vorangeschritten: In dem westafrikanischen Land hatte die Unabhängigkeitsbewegung unter Amílcar Cabral bereits am 25. September 1973 - also genau sieben Monate vor der Nelkenrevolution - einseitig die Unabhängigkeit von Portugal erklärt. Als die portugiesische Diktatur und damit das Kolonialregime zusammenbrachen, hatten bereits 34 UN-Mitgliedsstaaten Guinea-Bissau als unabhängigen Staat anerkannt. Militärisch hatte die portugiesische Armee längst die Kontrolle über weite Teile des Landes verloren.

"Wir Guineer wollen nicht unbescheiden sein, aber ich wage dennoch zu behaupten, dass wir einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der Nelkenrevolution geleistet haben", sagt die Juristin und ehemalige Justizministerin Guinea-Bissaus, Carmelita Pires, im DW-Gespräch. "Durch unseren erfolgreichen Befreiungskrieg haben wir die Forderungen der portugiesischen Bevölkerung nach einem Ende der Kolonialzeit und des Krieges und nach Freiheit indirekt unterstützt." Und sie fügt hinzu: "Gleichzeitig haben wir dazu beigetragen, dass die anderen, von den Portugiesen kolonisierten Länder unserem Beispiel folgten. Wir waren damals echte Vorbilder für unsere Brüderländer, die ebenfalls gegen den Kolonialismus kämpften."

Beziehungen in der Lusophonie: "Nie besser als jetzt"

In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit galten die Beziehungen zwischen den befreiten Staaten und der ehemaligen Kolonialmacht als schwierig. Ideologisch ging man getrennte Wege: Während sich Portugal der Europäischen Union zuwandte, begaben sich die fünf afrikanischen Staaten auf den Weg zum Sozialismus und errichteten mit Hilfe des Ostblocks marxistische Einparteiensysteme.

In den Anfangszeiten bezichtigten diese neuen Regime Lissabon immer wieder, Vertreter von Rebellenorganisationen, vor allem der mosambikanischen RENAMO und der angolanischen UNITA, die die marxistischen Regime in ihren Ländern bekämpften, bei sich aufzunehmen und diplomatisch zu unterstützen.

Die Missstimmung zwischen Portugal und den Ex-Kolonien habe aber nicht lange angehalten, betont die guineische Juristin Carmelita Pires: "Nach einer gewissen Übergangszeit haben wir Guineer uns erneut Portugal angenähert. Für uns war immer klar, dass unser Befreiungskampf gegen das portugiesische Kolonialsystem gerichtet war - und keinesfalls gegen das portugiesische Volk."

Familiäre und kulturelle Bande

Es seien vor allem familiäre Bande, die Menschen aus Guinea-Bissau und aus Portugal verbänden, so Carmelita Pires. Man dürfe nicht vergessen, dass Portugiesen und Bissau-Guineer über Jahrhunderte interagiert und untereinander geheiratet hätten. Sie selbst sei Nachfahrin eines einfachen portugiesischen Siedlers, der eine Frau aus der Fulani-Ethnie geheiratet und mit ihr eine Familie gegründet habe. "Viele Guineer tragen heute noch portugiesische Namen. Das unterscheidet uns von Völkern aus anderen - etwa anglophonen oder frankophonen - Kolonialsystemen."

Ähnlich sieht es der mosambikanische Schriftsteller Adelino Timóteo, dessen letzter Roman mit dem Titel "Das Jahr des Abschieds von Übersee" zur Zeit der Nelkenrevolution spielt: "Die Portugiesen haben im Vergleich zu anderen Kolonialmächten länger und intensiver mit den Völkern in den Kolonien zusammengelebt und sich ausgetauscht", sagt er der DW.

"Bei uns in Mosambik gab es schon immer enge Kontakte zwischen afrikanischen, europäischen und arabischen Kulturen, später kamen auch Inder und Chinesen aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien in Asien dazu. Sie alle wurden bei uns integriert. Von diesem Erbe der portugiesischen Kolonialzeit sind wir immer noch beeinflusst und sind deshalb heute besser in der Lage, trotz aller Wunden der Vergangenheit, gute Beziehungen zu Portugal und den Portugiesen zu pflegen."

Gründung der Gemeinschaft portugiesischsprachiger Länder

"Nach der Nelkenrevolution stellten die Leute in Portugal bange Fragen: Was wird aus den Beziehungen Portugals zu Afrika?", erinnert sich André Thomashausen, Professor für Internationales Recht und Verfassungsrecht an der University of South Africa: "Ich war damals in Portugal und vertrat die dezidierte Meinung, dass das Land eine wichtige und besondere Rolle in Afrika spielen sollte, und dass Portugal das Potential habe, als Tor Afrikas nach Europa zu fungieren."

Und das sei auch gelungen, so Thomashausen. Alle ehemaligen Kolonien hätten Portugiesisch als Amtssprache übernommen und für viele junge Menschen, aber auch Geschäftsleute aus den ehemaligen Kolonien, sei Portugal heute tatsächlich das wichtigste Eingangstor nach Europa, betont der Verfassungsrechtler mit deutschen Wurzeln. Portugal habe es verstanden, sehr schnell eine enge Kooperation mit den lusophonen Ländern aufzubauen. Die Lusophonie gehöre für Portugal zur "Staatsräson".

1996 habe man deshalb die CPLP gegründet: die Gemeinschaft der portugiesischsprachigen Länder, die alle neun Staaten der Welt umfasst, in denen Portugiesisch Amtssprache ist. Thomashausen: "Die CPLP ist heute wichtiger und funktioniert besser als die Frankophonie der Franzosen. Die portugiesische Diplomatie hat Hervorragendes geleistet."

Wirtschaftliche oder zwischenmenschliche Beziehungen?

Die Beziehungen zu allen ehemaligen Kolonien seien auf allen Ebenen gut. Auf Regierungsebene, im kulturellen und im Ausbildungsbereich. Und auch wirtschaftlich seien die lusophonen Länder Afrikas sehr eng mit Portugal verquickt, fügt Thomashausen hinzu.

Fernando Cardoso von der Autonomen Universität Lissabon bestätigt, dass sich Portugals wirtschaftliche Beziehungen zu den ehemaligen Kolonien gut entwickelt hätten: "Von viel größerer Bedeutung als der Handelsaustausch ist für die Portugiesen aber die historische und emotionale Dimension: In Portugal ist man davon überzeugt, dass eine privilegierte kulturelle und politische Partnerschaft mit den portugiesischsprachigen Ländern unabdingbar ist. Das war auch die Hauptmotivation für der Gründung der CPLP."

Portugal habe viel unternommen, um die negativen Seiten der gemeinsamen Geschichte zu verarbeiten und gleichzeitig die positiven Seiten der historischen Verbindungen hervorzuheben, so Cardoso: "Die positiven Aspekte beruhen vor allem auf der gemeinsamen Sprache. Wenn sich São-Tomeser, Kapverder, Angolaner oder Portugiesen im Ausland treffen, dann unterhalten sie sich selbstverständlich auf Portugiesisch und verbrüdern sich."

Das heiße nicht, dass die jeweiligen Regierungen immer im Einklang seien. Ein Beispiel für konträre Positionen in internationalen Fragen sei die Positionierung bezüglich des Krieges zwischen Russland und der Ukraine. "Die Trennlinien in der Ukrainefrage verlaufen quer durch die portugiesischsprachigen Länder. Einige der Länder Afrikas haben sich bei den Abstimmungen in der UNO über die Verurteilung des russischen Angriffskrieges der Stimme enthalten, im Gegensatz zu Portugal", so Cardoso.

Bei allen Auseinandersetzungen, die immer wieder auf Regierungsebene in Erscheinung treten: Die Begegnungen zwischen den Menschen in den verschiedenen lusophonen Ländern nehmen stetig zu. "Die Leute treten gemeinsam auf, nehmen gemeinsam Schallplatten auf, sie organisieren gemeinsame Feste und Konzerte oder Sportveranstaltungen, oder sie geben gemeinsam Bücher über transnationale Themen heraus", fasst Fernando Cardoso zusammen. "Vor 50 Jahren, in den Wirren der Nelkenrevolution, hätte ich nicht zu träumen gewagt, dass sich die Begegnungen - sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht - so gut entwickeln."

Short teaser Die Nelkenrevolution am 25. April 1974 markierte einen Wendepunkt in der Geschichte Portugals und seiner Kolonien.
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Image caption Jedes Jahr feiert man in Portugal den 25. April, den Tag der Nelkenrevolution, als Tag der Freiheit für Portugal und die Ex-Kolonien
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Item 12
Id 68903346
Date 2024-04-24
Title Görlach Global: Chinesische Spionage weltweit
Short title Görlach Global: Chinesische Spionage weltweit
Teaser Drei Personen wurden in Deutschland verhaftet, weil sie für die Volksrepublik spioniert haben sollen. Das wirft die Frage auf, wie erfolgreich Chinas Geheimdienste sind.

Die Enttarnung der mutmaßlichen chinesischen Agentinnen und Agenten in Deutschland kommt kurz nach einem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz im Reich der Mitte, in dem auch über die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen deutscher Unternehmen gesprochen wurde. Im März noch hatte der Nationale Volkskongress Chinas - eine Versammlung von Parteikadern - neuen Gesetzen zugestimmt, die ausländische Unternehmen zur Offenlegung sensibler Daten zwingen. Diese Zwangsmaßnahmen im Inland passen zur Wirtschaftsspionage im Ausland.

Ein Blick weg von Deutschland verdeutlicht die Reichweite und Art der Spionage durch die Volksrepublik. Laut einer Studie des Thinktanks CSIS mit Sitz in Washington haben die Spionageaktivitäten seit der Machtübernahme durch den chinesischen Herrscher Xi Jinping im Jahr 2012 deutlich zugenommen. Chinesische Spionage dient seitdem primär strategischen politischen Zielen und weniger kommerziellen Motiven. In ihrem aktuellen Bericht sprechen die Autorinnen und Autoren von 224 bekannten chinesischen Spionagedelikten in den USA seit dem Jahr 2001 - von denen 69 Prozent nach Xis Amtsantritt gemeldet worden seien. Xi habe die Geheimdienste von vorne herein als Erfüllungsgehilfen seiner globalen Strategie gesehen und als solche auch aufgewertet und ausgestattet.

Hinter jedem Ausländer steckt ein potenzieller Spion

Innerhalb Chinas agieren die Geheimdienste mittlerweile in aller Öffentlichkeit und senden die Botschaft, dass hinter jedem Ausländer und jeder Ausländerin im Land ein potenzieller Spion des Westens stecke. Journalisten der britischen BBC fassen diesen Wandel so zusammen: "Unter Xi Jinping, dem autoritärsten Führer Chinas seit Jahrzehnten, hat der notorisch geheimnisvolle Spionagedienst des Landes sein öffentliches Profil drastisch erhöht und seinen Aufgabenbereich erweitert." Die Geheimdienststellen produzieren Propagandafilme, die überall im Land zu sehen sind.

Diese staatlich verordnete Paranoia kommt von der Spitze des Systems: Machthaber Xi hat sich, wie sein Partner und Freund Wladimir Putin auch, in den Jahren der Pandemie zurückgezogen und dabei radikalisiert.

Chinas Unverfrorenheit erfordert Reaktionen

Anders als andere Geheimdienste setzt Peking nicht auf über lange Zeit aufgebaute Kontakte, sondern auf Informanten, die sich für einige Zeit im Ausland aufhalten, als Studierende beispielsweise. So agierten die als Kultureinrichtungen getarnten, an Universitäten eingerichteten Konfuzius-Institute als Spionage-Einheiten für die Kommunistische Partei. Von dort aus wurden junge Chinesinnen und Chinesen unter Druck gesetzt, nicht schlecht über China zu reden. Anderenfalls würde man ihren Familien in der Volksrepublik etwas antun.

Das Vorgehen Pekings ist den Geheimdiensten in den USA und Deutschland nicht erst seit gestern bekannt. Bis vor wenigen Jahren schien es noch so, als würde man sich in der freien Welt mit dieser nicht unüblichen Spionage arrangieren. Erst angesichts von Chinas zunehmender Aggressivität und Unverfrorenheit haben viele Demokratien entschieden, ihre Abhängigkeiten von der Volksrepublik zu reduzieren und Zugänge zu sensiblen Technologien zu beschränken.

Ein Kanzler ohne geo-politisches Gewicht

Deutschland ist hier, bislang, eine traurige Ausnahme. Wie das Magazin Foreign Policy nach dem Besuch von Olaf Scholz in der Volksrepublik vergangene Woche schrieb, scheinen der "Kanzler und seine Sozialdemokraten, anders als die koalierenden Partner der Grünen und der FDP, ihre China-Politik ganz nach dem Willen deutscher Konzernzentralen auszurichten und nicht nach den Interessen der Bürger des Landes." Das machte das Magazin unter anderem daran fest, dass in der Regierungsdelegation mit den Ressorts Verkehr und Landwirtschaft explizit solche Ministerien vertreten gewesen seien, die Chinas desolate Menschenrechtssituation nicht ansprechen, sondern eher auf kommerzielle Interessen beider Länder zielen.

Eine politische Botschaft konnte der Bundeskanzler nicht platzieren. Er besitzt kein geo-politisches Gewicht, sondern muss im Auftrag der deutschen Wirtschaft um Zugänge auf den chinesischen Markt bitten. Solange es Xi Jinping gelingt, die Interessen der demokratischen Länder geschickt zu instrumentalisieren, werden die es nicht schaffen, mit konzertierten Aktionen gegen Pekings Spionage vorzugehen.

Short teaser In Deutschland wurden drei mutmaßliche Spione aus China enttarnt. Wie erfolgreich sind Pekings Geheimdienste?
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Image caption Nicht nur gegen Deutschland: Chinas Spionageaktivitäten haben laut einer Studie im letzten Jahrzehnt deutlich zugenommen
Image source Michael Kappeler/dpa/picture alliance
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Item 13
Id 68911052
Date 2024-04-24
Title Nach Ukraine-Milliardenpaket: US-Nachschub rollt an
Short title Ukraine: US-Nachschub über Deutschland und Polen
Teaser Das Pentagon hatte seit Monaten Munitions-Pakete für die Ukraine bereits vorbereitet. Lieferungen über Polen und die Logistikzentren der US-Armee in Deutschland stehen bereit.

Jetzt soll alles schnell gehen: US-Munitionslieferungen werden über Polen und auch Deutschland und anderen Ländern Europas in die Ukraine gebracht. Das US-Verteidigungsministerium hat bereits in den vergangenen Monaten Vorbereitungen für den "Tag X" getroffen. Also der von der Ukraine seit Monaten erhofften positiven Entscheidung im US-Repräsentantenhaus über das neue Ukraine-Hilfspaket über 60 Milliarden US-Dollar (56 Milliarden Euro). An der Front in der Ost-Ukraine sind Kiews Truppen unter massivem russischem Artilleriebeschuss, den die ukrainischen Soldaten Mangels Munition kaum noch erwidern können.

"Ich denke, dass das Verteidigungsministerium in den letzten Wochen hart gearbeitet hat, um bereit zu sein", sagt der frühere Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte für Europa, Ben Hodges, im DW-Interview. "Das heißt man hat von Seiten des Pentagon die Dinge schon verpackt, abfahrbereit verstaut in die richtigen Richtungen gebracht, so dass das jetzt ganz schnell geht, dass im Grunde sofort die Dinge über die Grenze können", sagt auch der deutsche Sicherheitsexperte Nico Lange im Gespräch mit der DW.

Dezentrale Logistik in der Ukraine

Ab der ukrainischen Grenze stehe dann ein ausgeklügeltes Transport-System bereit, um den Nachschub vor russischem Angriff aus der Luft zu schützen. Seit Beginn von Russlands Großinvasion vor zwei Jahren habe das Land eine "dezentrale Logistik" für die westlichen Rüstungsgüter aufgebaut, so Lange. "Der Nachschub wird nicht alles auf einen Zug geladen, damit der dann womöglich ein lukratives Ziel ist, sondern das wird verteilt auf unterschiedliche Züge, die häufig auch bei Nacht verkehren und dann an die entsprechenden Einsatzorte gebracht fahren." Der Ukraine steht mittlerweile auch eine Flotte von westlichen Schwerlasttransportern für den Weg über die Straße zur Verfügung. In der Ukraine herrscht Ausgangssperre in der Nacht – das macht es der Moskauer Ziel-Aufklärung, besonders mit Spionen am Boden, schwerer die Versorgungsrouten zu lokalisieren.

"Die russische Luftwaffe, die in Bezug auf Anzahl und Qualität der Flugzeuge einen enormen Vorteil hat, war bislang nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Zug oder Konvoi zu zerstören, der Munition oder Ausrüstung von Rzeszow in Polen in die und durch die Ukraine brachte", sagt der frühere US-Generalleutnant Hodges.

Von Deutschland nach Rzeszow in Polen

Auf polnischer Seite der ukrainischen Grenze ist der Regionalflughafen der Kleinstadt Rzeszow im Südosten Polens das wichtigste Drehkreuz für die westlichen Hilfen. Er gehe davon aus, dass dort US-Flugzeuge aus Deutschland kommend landen, so Hodges. "Egal ob mit der Bahn oder mit C-17-Flugzeugen, die sie nach Polen fliegen und dann in Rzeszow absetzen" – die Logistik der US-Streitkräfte könne schnell handeln.

Für die US-Lieferungen in die Ukraine sei Deutschland das wichtigste Drehkreuz "aufgrund seiner geografischen Lage und auch wegen seiner ausgereiften Infrastruktur und schließlich wegen der fast 80-jährigen Präsenz der USA und der Zusammenarbeit mit unserem Gastland Deutschland", so Hodges.

Im Südwesten Deutschlands, im Bundesland Rheinland-Pfalz, befindet sich auch das größte Munitionslager der US-Streitkräfte außerhalb der USA. Das "Miesau Army Depot" liegt in unmittelbarer Nähe der größten US-Luftwaffenbasis in Europa in Ramstein.

ATACMS mit 300 Kilometer Reichweite

Teil des neuen Hilfspakets sollen erstmals auch Artilleriegeschosse vom Typ ATACMS mit einer Reichweite von 300 Kilometern sein, so Hodges. Das sei ihm von Gesprächspartnern in Washington versichert worden. Bislang hatte US-Präsident Biden die Waffe nur mit einer Reichweite von 150 Kilometern liefern lassen. Ähnlich wie Skalp oder Storm Shadow aus Frankreich und Großbritannien.

Mit dem neuen Nachschub könne die Ukraine gezielt Kommandostrukturen und Munitions- und Waffenlager der Russen angreifen, glaubt Hodges. Mehr noch als bislang: "Anstatt darauf zu warten, dass russische Raketen und Flugzeuge gestartet werden, und dann zu versuchen, sie abzufangen oder abzuschießen, ist es viel effektiver, wenn man den Ort zerstören kann, von dem aus diese Dinge kommen."

Vorarbeiten bis zur Kertsch-Brücke

"Wenn man sich die Lage im Süden anguckt, dann ist das unverändert so, dass die drei Zugänge zur Halbinsel Krim zu den wichtigsten militärischen Zielen gehören", sagt Nico Lange, der auch für die Münchner Sicherheitskonferenz arbeitet. Er gehe davon aus, dass die Ukraine in den nächsten Monaten versuchen werde immer mehr neuralgische Punkte der russischen Versorgung auf der Krim auszuschalten – bis hin zur wichtigsten Versorgungsroute, die Kertsch-Brücke, die Russland mit der Krim verbindet. "Es gibt eine ganze Reihe von Munitionstypen, die kann im Moment nur die USA liefern", so Lange. Vor allem weil das Hochfahren der Munitionsproduktion in Europa so lange dauere.

Das jetzt vom US-Senat freigegebene Hilfspaket erkaufe den Europäern vor allem Zeit, ist Christian Mölling überzeugt, der Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung beim deutschen Think Tank DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik). Er denke, dass die neuerliche US-Hilfe in diesem Umfang "das Ende der Fahnenstange ist". Monatelang hatten die Unterstützer von US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump im US-Senat die Ukraine-Hilfe blockiert. "Die Amerikaner kaufen uns Zeit, dann muss die europäische Hilfe einsetzen", so Mölling zur DW. Europa müsse selbst aufrüsten – für sich in Anbetracht der Bedrohung durch Russland und für die Ukraine.

Short teaser Das Pentagon hat seit Monaten Munitions-Pakete für die Ukraine vorbereitet. Lieferungen in Europa stehen bereit.
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Image caption Artillerienachschub auf dem Weg: An der Front in der Ost-Ukraine musste Kiews Artilleriegranaten seit November 2023 rationieren
Image source Libkos/AP Photo/picture alliance
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Item 14
Id 68902631
Date 2024-04-24
Title Was sind die Gründe für die Massenproteste in Kolumbien?
Short title Was sind die Gründe für die Massenproteste in Kolumbien?
Teaser Zu Hunderttausenden gingen Menschen in den großen Städten Kolumbiens auf die Straße, um gegen die linke Regierung von Gustavo Petro zu protestieren. Der Präsident verliert seine Basis - und die Gründe sind vielfältig.

Ob es 250.000 Protestierende gewesen waren oder sogar doppelt so viele, die gegen die Regierung von Präsident Gustavo Petro auf die Straße gingen - für Stefan Reith waren die Demonstrationen "zahlenmäßig massiv" und "gingen weit über das rechte Lager hinaus". Reith ist Leiter des Kolumbien-Büros der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die der Christlich-Demokratischen Union nahe steht. "Viele Teilnehmer kamen aus der politischen Mitte und der Mittelschicht", erklärt er im DW-Gespräch. Der Protest sei "als Aufforderung der Bürger an die Regierung zu verstehen, zuzuhören, nachzudenken und den Diskurs und ihre Reformagenda zu mäßigen".

Die Demonstrationen vom Sonntag richteten sich unter anderem gegen die geplante Verstaatlichung des Gesundheitssektors. Aber auch Petros Bestrebungen eines "totalen Friedens" mit bewaffneten Guerillagruppen lehnen die Demonstranten ab.

Kolumbiens Sicherheitslage ist ein Problem

"Kolumbien ist ein Land, in dem Demonstrationen nicht ungewöhnlich sind, aber diese war eine der größten", sagte Gabriel Cifuentes, politischer Analyst und Co-Direktor der Beratungsfirma Greystone Consulting Group Latam. Nach Ansicht des Experten tragen Faktoren wie die "heikle Sicherheitslage, Friedensverhandlungen mit den zahlreichen bewaffneten Gruppen ohne sichtbare Ergebnisse und ein immer noch nicht eingelöstes Versprechen auf Veränderung" zur Unzufriedenheit bei.

"Die wachsende Unsicherheit im Kontext der Friedensverhandlungen" ist auch für Stefan Reith ein wichtiger Faktor. "Viele Menschen kritisieren, dass die Regierung in den Verhandlungen mit den verschiedenen bewaffneten Gruppen Zugeständnisse macht, ohne dass sich die illegalen Akteure wirklich zu etwas verpflichten."

Kolumbien litt 52 Jahre lang unter einem Bürgerkrieg zwischen linken Rebellen, rechten Paramilitärs und dem Militär. 220.000 Menschen kamen ums Leben, Millionen wurden vertrieben. Zwar hat sich die Sicherheitslage nach dem Friedensabkommen zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla verbessert, allerdings werden noch immer Teile des südamerikanischen Landes von illegalen Gruppen kontrolliert.

Vielen in Kolumbien gehen die Reformpläne zu weit

Der Analyst Cifuentes betont im DW-Gespräch zudem die allgemeine Unzufriedenheit mit den Reformplänen des Präsidenten. Er sagt, die Vorschläge der Regierung würden "heikle Themen wie das Gesundheitswesen berühren, und das in einem Land, in dem das System zwar Mängel aufwies, aber mehr oder weniger gut funktionierte".

Allzu optimistische Versprechungen hätten Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt wurden und zu großen Frustrationen führten. So sei die Klientelpolitik immer noch allgegenwärtig, die wirtschaftliche Situation praktisch unverändert und die öffentliche Ordnung habe sich nicht verbessert, sagt Cifuentes. "Es hat den Anschein, als sei der Wandel eher eine narrative Strategie als eine Tatsache."

Dies würde den Rückgang der Umfragewerte für die Regierung und insbesondere für Präsident Petro erklären. Die Umfragen zeigen, dass die Unterstützung bei etwa 35 Prozent liegt, wobei die Mittelschicht, die den Präsidenten anfangs unterstützte, jetzt zunehmend auf Distanz geht. Die Umfragen, so KAS-Leiter Reith, zeigen "die schwächsten Ergebnisse seit dem Regierungswechsel im August 2022". Seiner Meinung nach gibt es neben der natürlichen Abnutzung eines Mandats auch andere Gründe für diesen Popularitätsverlust: "Die Vertreter der Mittelschicht und der politischen Mitte, die durchaus die Notwendigkeit sozialer Reformen sehen, lehnen radikale Kürzungen ab und bevorzugen gemäßigtere und konsensfähigere Maßnahmen."

Kritik an der Reaktion von Präsident Gustavo Petro

Präsident Gustavo Petro reagierte prompt und warf den Protestierenden vor, sie wollten einen "sanften Staatsstreich". Für den 1. Mai kündigte der Präsident Demonstrationen zugunsten der Regierung an, an denen er selbst teilnehmen werde. "Es geht nicht darum, das Land zu spalten, es ist bereits gespalten. Es geht auch darum, der Stimme des Volkes Gehör zu verschaffen", schrieb er auf X.

"Die unmittelbare Reaktion von Präsident Petro auf die Demonstrationen war praktisch die gleiche wie die seiner Vorgänger in solchen Fällen", erklärt Reith: "Verharmlosung der Zahlen, Infragestellung der legitimen Gründe und Anliegen der Proteste, und die Diffamierung der Teilnehmer, in diesem Fall als diejenigen, die sich nach offener Repression, militärischen Massakern und der Ermordung junger Menschen sehnen."

Der Analyst Cifuentes sieht es ähnlich. Die Reaktion des Präsidenten sei "verständlich, wenn man bedenkt, dass sie auf seine Basis abzielt. Aber angesichts der Realität des Landes war sie ungeschickt und kurzsichtig". Der Präsident müsse einsehen, so der kolumbianische Analyst, "dass es nicht um die unmittelbaren Schlagzeilen und Reaktionen geht, sondern dass sein politisches Projekt und das Erbe der ersten linken Regierung in Kolumbien auf dem Spiel steht".

Short teaser Hunderttausende protestieren in Kolumbien gegen die linke Regierung. Die Gründe für den Unmut sind vielfältig.
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Image caption Protest in der Regionalhauptstadt Paso
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Item 15
Id 68908858
Date 2024-04-24
Title Israels Wirtschaft auf dem Weg der Besserung
Short title Israels Wirtschaft auf dem Weg der Besserung
Teaser Der Überfall der Hamas auf Israel im vergangenen Oktober und der darauf folgende Krieg haben Israels Wirtschaft schwer getroffen. Doch während die Kämpfe noch andauern, beginnt Israel, sich wirtschaftlich zu erholen.

Obwohl Israels Regierung die statistischen Daten für das erste Quartal 2224 noch nicht veröffentlicht hat, gibt es Grund zur Erleichterung: Die jüngsten Daten vom Arbeitsmarkt, die die Zentrale Statistikbehörde gemeldet hat und die Informationen, die die Bank of Israel zu Kreditkartentransaktionen bekannt gegeben hat, legen die Annahme nahe, dass sich die Wirtschaft des Landes vom Schock des 7. Oktober und den darauf folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen erholt.

Im vierten Quartal 2023 war die Wirtschaftsleistung nach den Terrorattacken der Hamas deutlich eingebrochen - sie sank um 5,2 Prozent im Vergleich zum dritten Quartal. Das war zum großen Teil der Belastung des Arbeitsmarktes geschuldet, als 300.000 Reservisten einberufen worden waren.

Benjamin Bental, Wirtschaftsprofessor an der Universität von Haifa, sagt, der Arbeitsmarkt erhole sich gerade vom Schock, dass viele Arbeiter und Kleinunternehmer der Wirtschaft so plötzlich verloren gegangen waren. "Der Arbeitsmarkt stabilisiert sich tatsächlich recht schnell", sagte er der DW. "Er liegt noch nicht wieder auf dem Vorkriegsniveau, aber die Arbeitslosenquote liegt gegenwärtig einen Prozentpunkt unter der vom September 2023."

Die Rückkehr vieler Reservisten von der Truppe hätte die Arbeitsmarktlage entspannt, und gleichzeitig legten die Kreditkartendaten den Schluss nahe, dass der Optimismus der Verbraucher nach dem großen Einbruch im Herbst 2023 zurückkehre.

Palästinenser fehlen auf israelischen Baustellen

Dennoch, so Bental, litten einige Sektoren noch immer schwer unter dem Mangel an Arbeitskräften, allen voran das Baugewerbe. Vor allem, weil diese Branche in starkem Maße von palästinensischen Arbeitern abhing. Diese waren aus der besetzten Westbank zur Arbeit nach Israel gekommen - das ist wegen der verschärften Sicherheitsmaßnahmen nun nicht mehr möglich.

Ungefähr 75.000 Palästinenser waren täglich zwischen der Westbank und den Baustellen in Israel gependelt. Ihr Fehlen hat die Bautätigkeit fast zum Erliegen gebracht: Der Wohnungsbau brach zum Ende 2023 um 95 Prozent ein. Die Branche hat sich etwas erholt, weil sie tausende Arbeiter aus Indien, Sri Lanka und Usbekistan verpflichtete, um ihre Bauvorhaben beenden zu können. Das ganze Bild werde aber erst sichtbar, wenn alle Daten zum ersten Quartal vorliegen.

Der Krieg und das israelische Haushaltsdefizit

Der Krieg hatte die Regierung gezwungen, die Staatsausgaben dramatisch zu steigern - hauptsächlich für Verteidigungszwecke, aber auch für Wiederaufbaumaßnahmen nach den Terroranschlägen und Neubauten für zehntausende Israelis, die aus dem Norden und dem Süden des Landes hatten fliehen müssen.

Im vergangenen Monat hat Israel einen berichtigten Haushalt für dieses Jahr bekannt gegeben, der 584 Milliarden Schekel, das entspricht rund 144 Milliarden Euro, umfasst. Dabei wurde ein Staatsdefizit von 6,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in 2024 vorhergesagt - ursprünglich hatte man 2,25 Prozent erwartet.

Benjamin Bental sagt indes, das sei deutlich untertrieben und ein Defizit von acht Prozent sei weit wahrscheinlicher. "Das erscheint mehr oder weniger realistisch. Vorausgesetzt", fügt er mit Blick auf die Spannungen mit dem Iran hinzu, "dass es keine weitere Belastung der Sicherheitssituation gibt."

Der Staatshaushalt steht ganz offensichtlich unter Druck. Die Regierung plant, etwa 56 Milliarden Euro mehr an Schulden aufzunehmen und die Steuern zu erhöhen. Das, so die Regierenden, könnte das Land leisten: "Die ökonomischen Voraussetzungen sind gegeben, sagte Yali Rothenberg, Chef-Rechnungsprüfer im Finanzministerium, der Financial Times vor Veröffentlichung des Nachtragshaushalts. "Schauen Sie auf den High-Tech-Sektor, auf die Infrastrukturmaßnahmen und auf den privaten Konsum, dann sehen Sie: Das gibt die Wirtschaft her."

Wird Israels Verteidigung zu teuer?

Vor den Oktober-Attacken der Hamas war die israelische Wirtschaft in guter Verfassung. "Die Wirtschaft lief bemerkenswert gut", so Bental. "Die Inflation sank und die fiskalische Lage war völlig unter Kontrolle." Er weist darauf hin, dass Israel vor dem Überfall ein Wachstum von 3,5 Prozent anpeilte und dass das Land trotz der Erschütterungen im letzten Quartal 2023 ein Wachstum von zwei Prozent erreichen konnte.

Bental sagt, es gebe in den Straßen der großen Städte wie Tel Aviv und Haifa nur wenig Hinweise auf eine Kriegswirtschaft oder Anzeichen von Kürzungen oder Mangel. Hier zeige sich, dass die Erfahrungen aus vorherigen Kriegen und Krisen und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft das Handeln der aktuellen Regierung beeinflusst.

Bental ist allerdings wegen der außergewöhnlichen Ausgaben für die Verteidigung besorgt. Während des Yom Kippur Krieges 1973 hatte der Staat die Verteidigungsausgaben dramatisch erhöht, bis zu einem "total untragbaren" Level von 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Gemeinsam mit der Ölkrise und einer allgemeinen Weltwirtschaftskrise habe der Konflikt zu einem "wirklichen ökonomischen Desaster" für Israel geführt. Das hatte zu einer sehr hohen Inflation und einer wirtschaftlichen Stagnation für beinahe zehn Jahre geführt.

Wenn nur die Kämpfe endeten

Bental zufolge hatte die Zweite Intifada der Palästinenser in der Zeit zwischen 2000 und 2005 mehr Ähnlichkeiten mit dem gegenwärtigen Konflikt, weil damals wie heute mehr Zivilisten involviert waren. "Man kann daraus etwas lernen über die Schäden, die aus einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung und einem Verlust des persönlichen Sicherheitsgefühls während dieser Periode entstehen", sagt Bental. "Es gibt Schätzungen, dass während dieser Jahre des Konfliktes das israelische BIP deshalb etwa zehn Prozent verloren hat."

Als weiteres Beispiel nennt er den Konflikt mit der Hisbollah und dem Libanon 2006 - ein Konflikt der zeige, wie schnell sich die Wirtschaft erholen könne, wenn die Kämpfe aufhören. Bantal: "Wir reden von einer Situation, in der für etwa einen Monat im Norden Israels nichts mehr funktionierte. Aber wenn man sich die Daten anschaut und nach Spuren dieser Episode sucht, stellt man fest, dass da gar nichts zu sehen ist. Das ist wirklich erstaunlich. Die Wirtschaft hatte sich im Nullkommanichts wieder normalisiert."

Bental hofft, dass das auch diesmal der Fall sein wird, sobald der aktuelle Konflikt beendet ist. Im Moment wiesen einige Zeichen der Erholung in genau diese Richtung.

Dieser Beitrag ist aus dem Englischen adaptiert.

Short teaser Während die Kämpfe mit der Hamas noch andauern, beginnt Israel, sich wirtschaftlich zu erholen.
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Image caption Israelischer Alltag im Krieg - Straßenszene in Tel Aviv
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Item 16
Id 68906569
Date 2024-04-24
Title Anzeichen für konjunkturelle Trendwende mehren sich
Short title Anzeichen für konjunkturelle Trendwende mehren sich
Teaser Hat die deutsche Wirtschaft die Talsohle durchschritten? Aktuelle Konjunkturdaten deuten darauf hin. Der Ifo-Index verzeichnet eine bessere Stimmung, die Regierung hebt ihre Wachstumsprognose minimal an.

Das Bundeswirtschaftsministerium ist trotz struktureller Schwächen zuversichtlich, dass die Konjunktur an einem Wendepunkt steht. Die Anzeichen dafür mehrten sich im Frühjahr, teilte das von Robert Habeck (Grüne) geführte Ministerium am Mittwoch in Berlin mit. Wesentliche Impulse sollten im Jahresverlauf vor allem vom Konsum ausgehen. Insgesamt rechnet die Bundesregierung 2024 mit einem mageren Wachstum der Wirtschaft von 0,3 Prozent. Gegenüber Februar haben sich die Aussichten damit leicht aufgehellt. 2025 dürften es dann 1,0 Prozent werden. Im vergangenen Jahr war die deutsche Wirtschaft noch um 0,3 Prozent geschrumpft. Kein anderes großes Industrieland entwickelt sich derzeit schlechter.

"Trotz dieser Hoffnungssignale machen mir die strukturellen Probleme des Standorts weiterhin Sorge", erklärte der Wirtschaftsminister. "Wenn wir mittel- und langfristig wieder höheres Wachstum erreichen wollen, brauchen wir daher strukturelle Veränderungen." Dazu gehörten die Stärkung von Innovationen und der Abbau unnötiger Bürokratie, aber auch Arbeitsanreize, "damit mehr Menschen freiwillig mehr und länger arbeiten".

Geschäftsklimaindex verzeichnet besser Stimmung

Entsprechend hat sich die Stimmung in der deutschen Wirtschaft im April weiter aufgehellt und ist so gut wie seit fast einem Jahr nicht mehr. Das Ifo-Geschäftsklima stieg überraschend deutlich auf 89,4 Punkte von 87,9 Zählern im Vormonat, wie das Münchner Ifo-Institut am Mittwoch zu seiner Umfrage unter rund 9000 Führungskräften mitteilte. Das Barometer kletterte damit den dritten Monat in Folge, was als Signal für eine Konjunkturwende gilt. Die Firmen beurteilten ihre Geschäftslage und die Aussichten für die kommenden Monate günstiger als zuletzt. "Die Konjunktur stabilisiert sich, vor allem durch die Dienstleister", sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest.

In der Industrie verbesserte sich die Stimmung zwar insgesamt, aber die Betriebe beurteilten ihre Lage schlechter. Der Auftragsbestand sank weiter. "Produktionssteigerungen sind nicht in Sicht", betonte Fuest. Im Dienstleistungssektor hingegen hellte sich das Geschäftsklima merklich auf. Auch im Handel stieg der Index. "Die Geschäftserwartungen verbesserten sich deutlich, bleiben allerdings insgesamt pessimistisch", hieß es. Am Bau ging es das dritte Mal in Folge bergauf - dank weniger pessimistischer Erwartungen. Die Lage wurde jedoch schlechter beurteilt und viele Firmen klagten über Auftragsmangel.

"Im tiefen Schacht geht die Lampe an"

Ökonomen erwarten nun eine allmähliche Erholung der Konjunktur. "Die deutsche Wirtschaft arbeitet sich aus ihrer Schwächephase heraus", sagte Ifo-Konjunkturfachmann Klaus Wohlrabe der Nachrichtenagentur Reuters. "Das sieht nach Trendwende aus", betonte LBBW-Experte Jens-Oliver Niklasch. Einiges spreche dafür, "dass wir im Winter das Konjunkturtief gesehen haben". Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer sieht den Ifo-Index als recht klares Aufwärtssignal. "Von nun an sollte die deutsche Wirtschaft wieder wachsen, nachdem sich die Unternehmen an die höheren Leitzinsen gewöhnt haben und die Energiekosten wieder gefallen sind." Die Phase fallender Konjunkturprognosen dürfte vorüber sein. "Im tiefen Schacht geht die Lampe an", sagte Chefvolkswirt Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank.

Die Wirtschaft steckt derzeit wegen sinkender Investitionen und einer Flaute am Bau im Konjunkturtal und schrumpfte Ende 2023 um 0,3 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfte laut Bundesbank im ersten Quartal 2024 allerdings "leicht zugenommen haben". Damit bliebe Deutschland eine Rezession erspart. "Die Konjunktur in Deutschland hat sich etwas aufgehellt, eine durchgreifende Belebung ist aber noch nicht gesichert", erklärte die Bundesbank jüngst.

Auch eine am Finanzmarkt viel beachtete Umfrage unter Einkaufsmanagern zeigte, dass die Wirtschaft die lange Durststrecke langsam hinter sich lassen könnte.

hb/bea (rtr)

Short teaser Hat die deutsche Wirtschaft die Talsohle durchschritten? Darauf deuten aktuelle Konjunkturdaten und Umfragen hin.
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Image caption Da! Es geht nach oben! Wirtschaftsminister Habeck mit einer Grafik zur deutschen Industrieproduktion
Image source Michael Kappeler/dpa/picture alliance
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Item 17
Id 68899515
Date 2024-04-24
Title Warum die EU und die USA gegen TikTok vorgehen
Short title Warum die EU und die USA gegen TikTok vorgehen
Teaser Die USA fordern einen Zwangsverkauf der chinesischen Video-App TikTok, die EU leitet ein weiteres Verfahren gegen sie ein. Wo liegt das Problem?

Es gibt wohl kaum eine andere App, die unter Kindern und Jugendlichen weltweit so beliebt ist wie TikTok - und kaum eine, die so umstritten ist. In den vergangenen Tagen zog die chinesische Videoplattform einmal mehr Ärger auf sich. Ein Überblick.

Warum soll TikTok in den USA gebannt werden?

Der US-Senat stimmte am späten Dienstag (Ortszeit) für einen Zwangsverkauf der App in den USA. Das US-Gesetz hatte damit auch die zweite Kongresskammer passiert, erst am Wochenende hatte auch das US-Repräsentantenhaus dafür gestimmt. Damit kommt es nun auf den Tisch von Präsident Joe Biden, der bereits ankündigte, dass er es unterschreiben wird.

TikTok soll sich demnach innerhalb von 270 Tagen von seinem chinesischen Mutterkonzern Bytedance lösen, gegebenenfalls könnte die Frist noch einmal um 90 Tage verlängert werden. Andernfalls müsste TikTok aus den App-Stores von Apple, Google und Co. entfernt werden. Zumindest ein neuer Download würde damit verhindert.

Die parlamentarische Initiative gegen Tiktok entspringt Datenschutzsorgen: Bytedance steht im Verdacht, der Kommunistischen Partei Chinas Zugriff auf die Nutzerdaten zu ermöglichen. In den USA sind das etwa 170 Millionen Menschen. Konkret wird befürchtet, dass Tiktok gezwungen werden könnte, Nutzerdaten herauszugeben. Außerdem könnte China Propaganda und Desinformation über den Algorithmus ausspielen. Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück.

Warum ermittelt die EU?

Auch die EU hat TikTok mal wieder im Visier - wenn auch aus gänzlich anderen Gründen. In einem neuen Verfahren soll geprüft werden, ob die Belohnungsfunktion der neuen App TikTok lite die psychische Gesundheit von Jugendlichen gefährdet und damit gegen EU-Regeln verstößt. Die neue App gibt es seit April und ist innerhalb Europas derzeit nur in Frankreich und Spanien verfügbar.

Große soziale Plattformen wie Facebook, X (ehemals Twitter), Instagram und eben auch TikTok müssen seit August 2023 die Vorgaben des Digital Services Act (DSA) erfüllen. Das Gesetz über digitale Dienste soll illegale oder schädliche Online-Aktivitäten verhindern. Auch sogenannte "dark patterns", also manipulative Praktiken, um Nutzer auf Plattformen zu halten, sind verboten.

Die EU-Kommission kritisiert, TikTok habe die neue App-Version "TikTok Lite" in den beiden EU-Mitgliedsstaaten eingeführt, ohne die Risiken vorab ausreichend zu bewerten. Der Konzern hatte bis zum 18. April Zeit, einen Bericht vorzulegen, die Frist aber zunächst verstreichen lassen. Er bekam eine neuen 24-Stunden-Frist eingeräumt und reichte die geforderte Risikoeinschätzung für die neue App nach eigenen Aussagen diesen Dienstag ein.

Damit wendete die für ihre Tanzvideos bekannte und besonders bei Jugendlichen beliebte Plattform eine Strafzahlung vorerst ab. Andernfalls hätte die EU Geldstrafen verhängen können - in Höhe von bis zu einem Prozent der gesamten Jahreseinnahmen. Auch die umstrittene Belohnungsfunktion der neuen App-Version (siehe unten) hätte blockiert werden können.

Schon im Februar hatte die EU ein Verfahren gegen TikTok eröffnet. Dabei ging es unter anderem um mutmaßlich mangelhaften Jugendschutz.

Warum gilt "TikTok Lite" als besonders süchtig machend?

"TikTok Lite" enthält ein neues Punkte-System, das es in der herkömmlichen TikTok-Version nicht gibt. Wer möglichst viele Videos schaut, Inhalte liked - also positiv bewertet - oder Freunde zu TikTok einlädt, erhält digitale Münzen. Diese Münzen können gegen Gutscheine ausgetauscht werden, zum Beispiel für den Online-Händler Amazon. Diese Funktion sei besonders süchtig machend, hieß es von der EU-Kommission.

Die App, die auch viele Tanz- und Mitsingvideos enthält, ist besonders bei Kindern und Jugendlichen beliebt. Laut den Nutzungsbedingungen müssen Nutzende mindestens 13 Jahre alt sein. Unter 18 Jahren müssen Eltern oder andere Erziehungsberechtigte zudem noch offiziell zustimmen. Es sei jedoch nicht erkennbar, ob das Alter wirksam überprüft werde, erklärte die Kommission weiter.

Macht TikTok generell süchtiger als andere soziale Medien?

Die Algorithmen von TikTok funktionieren etwas anders als die Algorithmen älterer Social-Media-Plattformen - und machen deshalb möglicherweise noch schneller süchtig. Anders als die bisherigen Plattformen zeigen sie von Anfang auch Videos, die andere Nutzende ansprechend fanden, statt vor allem Inhalte von abonnierten Konten abzubilden.

Und: TikToks Algorithmen sind höchst intelligent. Je mehr Zeit Nutzende auf TikTok verbringen, desto präziser werden die Vorhersagen, was gefallen könnte.

Das bleibt nicht ohne Folgen: In den USA verbringen junge TikTok-Nutzerinnen durchschnittlich mehr als 2,5 Stunden vor der App. Das geht aus einer Studie hervor, aus der die "Washington Post" im März 2023 zitierte. Von diesen Mädchen bezeichnet sich fast jede zweite als süchtig. Besonders anfällig sind demnach Mädchen mit Depressionen.

Ein Teil der Jugendlichen benutzt die App sogar mehr oder weniger immer. Laut dem US-amerikanischen Meinungsforschungsinstitut Pew Research mit Stand September 2023 verbringen etwa 17 Prozent der Jugendlichen ihre Zeit damit, eigentlich konstant ("almost constantly" ) durch die App zu scrollen. Ein Spitzenwert im Vergleich zu anderen Apps.

Dieser Artikel wurde am 24. April aktualisiert.

Short teaser Die USA fordern einen Zwangsverkauf der Video-App TikTok, die EU leitet ein weiteres Verfahren ein.
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Item 18
Id 68888372
Date 2024-04-22
Title Industrie auf Hannover Messe: Ruf nach Reformen
Short title Industrie auf Hannover Messe: Ruf nach Reformen
Teaser Die deutsche Industrie warnt vor einem besorgniserregenden Abwärtstrend. In diesem Jahr werde die Industrieproduktion erneut sinken. Auf der Hannover Messe fordern Verbände zum Gegensteuern auf.

Die deutsche Industrie stellt sich auf ein weiteres schwieriges Jahr ein und fordert deutliche Reformen zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Zum Auftakt der Hannover Messe am Montag sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, die bisher von der Bundesregierung eingeleiteten Reformen wie das Wachstumsförderungsgesetz und beim Bürokratieabbau reichten bei Weitem nicht aus, um den Industriestandort zukunftsfest zu machen.

In diesem Jahr werde die deutsche Industrieproduktion erneut zurückgehen, nach Schätzung des BDI um Vergleich zu 2023 um 1,5 Prozent. "Trotz moderater Erholungsaussichten dürfen wir uns nichts vormachen: Insgesamt zeigen die Produktionszahlen schon seit Jahren einen besorgniserregenden Abwärtstrend", sagte Russwurm. Im Mittelpunkt der weltgrößten Industrieschau stehen in diesem Jahr der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und Wasserstoff als Energieträger.

Vor fünf Jahren noch Science Fiction

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte zum Messeauftakt: "Was man hier spürt, ist Innovation, Lust, neue Dinge zu entwickeln. Das gilt insbesondere für die ganz große Aufgabe, wie kriegen wir das hin, mit den Herausforderungen der Digitalisierung umzugehen und die Chancen zu nutzen." KI sei heute selbst in kleinsten Produkten schon zu finden. Das helfe auch, weniger Ressourcen zu verbrauchen.

Der Ministerpräsident des Messe-Partnerlandes Norwegen, Jonas Gahr Støre, zeigte sich ebenfalls beeindruckt: "Viele der Dinge, die wir heute gesehen haben, wären vor fünf Jahren noch Science Fiction gewesen."

Von der Industrie bekam Scholz erneut Forderungen mit auf den Weg durch die Messehallen. BDI-Präsident Russwurm sagte, "was die Bundesregierung bisher getan hat, ist aller Ehren wert. Aber es reicht halt nicht." So lasse sich der Rückgang der Industrieproduktion, der seit Jahren zu beobachten sei, nicht stoppen. "Wir brauchen wettbewerbsfähige und langfristig planbare Energiepreise", forderte Russwurm erneut. Zudem müssten die Unternehmenssteuern gesenkt werden. "Die aktuelle Belastung von knapp 30 Prozent ist ein ernst zu nehmender negativer Standortfaktor."

Auch der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Karl Haeusgen, forderte mehr Tempo in der Wirtschaftspolitik. Die Industriestandorte Deutschland und Europa bräuchten keine Untergangsdebatten, sondern mutige Reformen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

"Neue Investitionsvorhaben finden aktuell vor allem im Ausland statt, etwa in den USA. Das wird, wenn wir dem nichts entgegensetzen, zu einer anhaltenden Schwächung unserer Wirtschaft führen", sagte Haeusgen. "In der aktuellen Wirtschaftspolitik fehlt jedoch die Leidenschaft zur Freiheit."

Rund 4000 Aussteller aus 60 Ländern präsentieren sich auf der Hannover Messe. Leitthemen sind die Entwicklung einer klimaschonenderen Produktion und Lösungen für die Energiewende. 2023 waren 130.000 Besucher zu der Messe gekommen, deutlich weniger als vor der Corona-Pandemie. So waren 2019 noch 215.000 Besucher gezählt worden. Im Jahr 2020 war die Ausstellung coronabedingt erstmals seit der Gründung 1947 ausgefallen. 2021 fand sie nur digital statt.

hb/bea (dpa)

Short teaser In diesem Jahr wird die Industrieproduktion weiter sinken. Auf der Hannover Messe fordern Verbände mehr Reformen.
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Item 19
Id 68869211
Date 2024-04-22
Title Wohin mit den ganzen E-Autos?
Short title Wohin mit den ganzen E-Autos?
Teaser Der sinkende Verkauf von Autos mit elektrischem Antrieb hat auch Folgen, auf die man nicht sofort kommt: Weil mehr Autos aus Übersee importiert als zurzeit verkauft werden, müssen viele Wagen in Häfen geparkt werden.

Autos sind eine besondere Ware: Auf der einen Seite sind sie handlicher als etwa Bohrinseln, denn die werden einzeln und "im Stück" ausgeliefert: Andererseits sind sie wieder so groß, dass man sie nicht einfach in ein Regal legen kann. Jedes Auto nimmt eben bis zu zehn Quadratmeter Platz ein, auch wenn es nicht genutzt wird.

Das bereitet den Häfen, in denen Schiffe für den Autotransport be- und entladen werden, Probleme. In Deutschland betrifft das vor allem zwei Städte: Emden und Bremerhaven. Das Autoterminal Bremerhaven gehört zu den größten Autohäfen der Welt. Die dortige BLG Logistics Group teilte der DW mit, sie verlade mehr als 1,7 Millionen Fahrzeuge pro Jahr.

Unternehmenssprecherin Julia Wagner präzisierte, dass der Hafen Platz für ca. 70.000 Fahrzeuge biete: "Alle namhaften Autoreeder bedienen Bremerhaven regelmäßig und jedes Jahr laufen mehr als 1000 CarCarrier das Terminal an." Und dabei stelle die BLG fest, dass "sich der Umschlag von Pkw in den vergangenen Jahren verändert" habe: "Wir hatten lange Zeit 80 Prozent Export und 20 Prozent Import. Dieses Verhältnis liegt mittlerweile bei 50:50."

Das Problem liegt beim Landtransport

Doppelt so viele Autos wie in Bremerhaven werden im belgischen Zeebrügge, dem Hafen der mittelalterlichen Stadt Brügge, verladen. Auch dort sind derzeit viele Autos geparkt, die angelandet, aber noch nicht weitertransportiert wurden. Elke Verbeelen von der Kommunikationsabteilung der Häfen Antwerpen/Brügge bestätigt das der DW: "Das geschieht in allen europäischen Häfen, die große Mengen von Autos verschiffen."

Die verlängerte Verweildauer hängt aber nicht nur an der schieren Menge importierter Wagen: "Das Problem liegt weniger in der Zahl der angelandeten Autos, sondern eher darin, dass sie nicht zügig abtransportiert werden."

Noch reichen die Kapazitäten der großen Terminals aus, um die Autos parken zu können. Julia Wagner aus Bremerhaven betont ausdrücklich: "Eine 'Verstopfung' des Terminals, wie in einigen Medien über die Lage in europäischen Häfen berichtet wurde, stellen wir aktuell nicht fest." Auch aus Antwerpen/Brügge und anderen europäischen Häfen wird derzeit kein akuter Parkplatzmangel gemeldet.

Wo kommen sie her, wo gehen sie hin?

Das Verschiffen von Autos ist entgegen dem ersten Augenschein ein eher undurchsichtiges Geschäft, denn es ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen, wo ein Auto gebaut und dann verkauft wird. Westliche Hersteller wie Tesla lassen mitunter in China produzieren und bringen ihre Fahrzeuge dann nach Europa. Gleichzeitig produzieren viele Autobauer ihre Fahrzeuge für asiatische Märkte oder für das US-Geschäft jeweils an Ort und Stelle - unter anderem, um Zölle zu vermeiden.

Außerdem gibt es einen Transportweg, den Hafenbetreiber gar nicht einsehen können, so die Häfen Antwerpen/Brügge: "Wir wissen gar nicht, wie viele Autos in Containern verschifft werden." Diese Art des Transports wird oft von Privatleuten oder Händlern, die nur wenige Fahrzeuge expedieren, genutzt. Da diese Autos den ganzen Transportweg über "eingepackt" sind, nehmen sie aber auch keinen Parkplatz in Anspruch.

Veränderte Gewohnheiten

Auf jeden Fall lohne ein genauerer Blick auf Produktion, Distribution und Verkauf von Automobilen, meint Elke Verbeelen. Dabei habe sich in den vergangenen Jahren einiges verschoben. So bleibe das Autoaufkommen in den Häfen hoch oder stiege sogar, weil sich die Kaufgewohnheiten geändert haben. So gebe es etwa neue Geschäftsmodelle bei manchen Marken, wie den "Direktverkauf an die Kunden. Da bleibt das Auto so lange im Hafen und kommt nicht erst in den Showroom des Händlers."

Auch konjunkturelle Gründe führten zur hohen Auslastung der Hafen-Parkplätze. Das liege an den derzeit "relativ geringen Autoverkäufen." Eine Beobachtung, die auch Julia Wagner macht: "Die Standzeiten der Pkw aller Hersteller auf dem Terminal haben sich mit dem Wegfall der staatlichen Förderung der E-Mobilität verlängert, da sich die Verkaufszahlen der E-Autos in Deutschland verringert haben."

Hinzu komme, so Verbeelen, dass der Autoumsatz insgesamt gestiegen sei. Zwar sei das Niveau der Jahre vor der Corona-Pandemie noch nicht wieder erreicht, doch werde merklich mehr ein- und ausgeführt als "im Vergleich zu 2020-2021". Und auch der Fachkräftemangel im Speditionsgewerbe mache sich bemerkbar: Es sei "eine geringere Kapazität an Straßentransporten von Autos wegen eines Mangels an Lkw-Fahrern" zu beobachten. Das alles führe zu einer "längeren Verweildauer der Autos in den Häfen".

Neue Wege in Emden

Die Volkswagen AG im norddeutschen Emden und das Autoterminal im Hafen der Stadt wollen in Zukunft auf anderem Wege die Verweildauer von Autos in Häfen reduzieren. Das Be- und Entladen der Schiffe soll beschleunigt und dabei auch noch Personal eingespart werden. Einzelheiten dazu berichtete die Ostfriesen-Zeitung am 17. April.

Mit einem vom Bundesverkehrsministerium mit 3,2 Millionen Euro geförderten Testprojekt soll ausprobiert werden, ob autonom fahrende VW-Fahrzeuge sich ohne Fahrer selbständig ver- und entladen können. Die Versuche sollen 2026 beendet werden.

Das Projekt AutoLog soll dazu führen, bis zu 2000 Jobs in Emden einsparen zu können. Laut Ostfriesen-Zeitung sei bei Erfolg auch eine Übertragung auf die "gesamte Distributionskette vom Automobilbauer zum Händler" denkbar. Dann wären an Europas Häfen viele Parkplätze dauerhaft frei.

Short teaser Weil mehr Autos aus Übersee importiert als zurzeit verkauft werden, müssen viele Wagen in Häfen geparkt werden.
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Image caption Am Kai geparkt: Autos im Überseehafen Bremerhaven
Image source Jochen Tack/picture alliance
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Item 20
Id 68869157
Date 2024-04-19
Title Indiens Megawahl: Narendra Modi setzt auf die Wirtschaft
Short title Narendra Modi setzt auf die Wirtschaft
Teaser In dem bevölkerungsreichsten Land der Erde wird ein neues Parlament gewählt. Premierminister Narendra Modi will erneut gewählt werden und wirbt deshalb mit seinen wirtschaftlichen Erfolgen. Zu recht?

In Indien findet die größte demokratische Wahl in der Geschichte der Menschheit statt: Fast eine Milliarde Menschen sind berechtigt, bei der Parlamentswahlabzustimmen. Die Wahl läuft sechs Wochen und es gibt eine Million Wahllokale - vom Himalaja bis zum Indischen Ozean.

Der amtierende Premierminister Narendra Modi will fünf weitere Jahre regieren und strebt eine dritte Amtszeit an. Bei einem Thema gibt er sich besonders optimistisch: der Wirtschaft.

Er und seine hindunationalistische Partei BJP sprechen häufig von Viksit Bharat 2047 - was so viel bedeutet wie "Entwickeltes Indien 2047". Ein Versprechen an die Wähler, Indien zur voll entwickelten Wirtschaft zu machen - zum hundertsten Jahrestag der Unabhängigkeit. Doch wie hat sich die Wirtschaft wirklich unter Modi entwickelt? Dazu gibt es unterschiedliche Ansichten.

Indien auf dem Weg zur drittgrößten Wirtschaft der Welt

Noch sind Japan und Deutschland die dritt- und viertgrößten Wirtschaftsnationen der Welt - hinter den USA und China. Doch viele Daten deuteten darauf hin, dass Indien bis 2026 oder 2027 den dritten Platz einnehmen könne, erklärt Arvind Panagariya gegenüber der DW. Der Ökonom von der Columbia University in New York wurde kürzlich von Modi zum Vorsitzenden der einflussreichen indischen Finanzkommission ernannt.

Auch Shumita Deveshwar, Chefökonomin für Indien bei GlobalData TS Lombard, ist optimistsich: "Angesichts des globalen Umfelds gehört Indien zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt", sagt sie der DW.

Beim Wachstum ist Indien derzeit ein Ausreißer unter den großen Volkswirtschaften. In den letzten drei Monaten des Jahres 2023 stieg das BIP um 8,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit liegt das Land weit vor den anderen zehn größten Volkswirtschaften der Welt.

Hohe Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen

Doch nicht alles läuft wirtschaftlich nur rosig: Ein besonders hartnäckiges Problem ist die Arbeitslosigkeit. Sie liegt derzeit bei zehn Prozent und ist vor allem unter jungen Menschen hoch. Angesichts der riesigen und schnell wachsenden Bevölkerung des Landes ein großes Problem.

Sushant Singh vom Center for Policy Research in Indien sagt, es gebe "keinen Plan", um das Problem zu lösen. "Die demografische Dividende hat sich in eine demografische Katastrophe verwandelt", so Singh zur DW.

Weitere hausgemachte Probleme von Modi seien schwache Daten in Bezug auf das verarbeitende Gewerbe und ausländische Direktinvestitionen, so Singh. Nach Angaben der Großbank HSBC sind die Netto-Direktinvestitionen in Indien heute niedriger als bei Modis Amtsantritt vor zehn Jahren. "Das ist ernst zu nehmen", sagt Singh, "denn das bedeutet, dass die Menschen nicht in das verarbeitende Gewerbe, die Industrie oder Unternehmen investieren."

Obwohl Modi eine Agenda für die heimische Fertigung mit dem Namen Make in India vorangetrieben hat, entfallen auf das verarbeitende Gewerbe immer noch nur etwa zwölf Prozent der Arbeitsplätze im Land. "Wir haben uns im Grunde genommen von einem Agrarstaat zu einer Dienstleistungswirtschaft entwickelt, und das verarbeitende Gewerbe ist dabei einfach stehen geblieben", so die Ökonomin Deveshwar.

Wirtschaft auf Reformkurs

Der Ökonom Arvind Panagariya sagt, Modi sei wichtige Reformen angegangen. So zum Beispiel in den Bereichen Steuern, Konkursrecht und Immobilien. Das hätte "einen großen Unterschied" für die Wirtschaft gemacht.

Die Ökonomin Deveshwar hingegen sieht die Reformbilanz kritisch. Ihrer Meinung nach fehlt es an weiteren Strukturreformen, um die von Modi angekündigten Ziele zu erreichen. Modis regierende Nationale Demokratische Allianz, in der seine BJP die größte Partei ist, habe beispielsweise die Jahresziele für die Privatisierung staatlicher Unternehmen nicht erreicht. Sie verweist auch auf drei umstrittene Landwirtschaftsgesetze, die Modis Regierung einführte, bevor sie sie 2021 nach Massenprotesten wieder aufhob.

Armut und Ungleichheit

Deveshwar ist jedoch der Meinung, dass Modi auch deshalb so beliebt ist, weil er die Stimmung bei wirtschaftlichen Fragen spürt - so wie bei der Aufhebung der Agrargesetze. "Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er wirklich die Finger am Puls der Nation hat. Und wenn er das Gefühl hat, dass etwas in Indien nicht gut ankommt, kann er es auch zurückziehen", sagt sie.

Und da ist noch ein weiterer Grund für Modis Anziehungskraft: Indien ist in vielerlei Hinsicht nach wie vor ein extrem armes Land. Daten der Weltbank zeigen aber, dass der Anteil der in extremer Armut lebenden Inder während Modis Amtszeit weiter gesunken ist.

Panagariya sagt, dass die Regierung besonders aktiv in Bezug auf Wirtschaftsprogramme im ländlichen Indien gewesen sei. Die große Agrar- und Landbevölkerung des Landes gilt als entscheidend für Modi auf dem Weg zur nächsten Amtszeit.

"Besonders in den ländlichen Gebieten bekommt jeder etwas von der Zentralregierung", sagt Panagariya. Er verweist auf ländliche Wohnungsbauprogramme, Initiativen zum Bau von Toiletten, Bargeldtransfers, Gesetze zur Ernährungssicherheit und die weit verbreitete Verteilung von Flüssiggas zum Kochen. Das alles sei Beweis dafür, dass Modi versuche, Ressourcen an die ärmsten Teile des Landes zu verteilen.

Doch die Meinungen darüber, wie es den Ärmsten in Indien unter Modi wirklich ergangen ist, gehen weit auseinander. Sushant Singh vom Center for Policy Research sagt, die Ungleichheit habe in den letzten zehn Jahren zugenommen und verweist auf Daten aus einem aktuellenBericht des World Inequality Lab. "Sowohl die Einkommensungleichheit als auch die Vermögensungleichheit hat unter Modi zugenommen", und fügt hinzu: "Pro Kopf gemessen ist Indien das ärmste Land der G20."

Modis Infrastrukturinvestitionen

In einem Bereich sind die wirtschaftlichen Erfolge aber besonders sichtbar: der Infrastruktur. Bereits im Vorwahlbudget für 2024 hat Modi eine Erhöhung der Investitionsausgaben für Straßen, Eisenbahnen und Flughäfen um elf Prozent auf umgerechnet rund 125 Milliarden Euro zugesagt.

Bereits während seiner Amtszeit hat Modi stark in die Infrastruktur investiert - in die physische, aber auch in die digitale. Panagariya hält die Investitionen für gerechtfertigt und für unerlässlich, wenn Indien die wirtschaftlichen Ziele erreichen will, von denen der Premierminister spricht.

Deveshwar stimmt dem zu. "Man kann es nicht wirklich als populistisch bezeichnen", sagt sie. "Es ist sehr notwendig. Eines der Hauptprobleme, die Indien seit Jahrzehnten hat, ist seine alte Infrastruktur. Und die politische Richtung ist jetzt sehr positiv."

Dieser Bereich ist für alle besonders greifbar. Der Ausbau der Infrastruktur könnte also als sichtbarer Messgrad dienen, für die Richtung, in die sich Indiens Wirtschaft entwickelt. Für Ökonomen wie Panagariya ist der Ausbau der Infrastruktur auch einer der Gründe, warumdie Wahl Modisbereits als beschlossene Sache angesehen wird.

Doch auch wenn eine dritte Amtszeit Modis wahrscheinlich ist, wirken seine hochgesteckten Ziele wie Viksit Bharat 2047 nicht als realistisch, sondern eher als Wahlkampf.

Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

Short teaser Der Premierminister will wiedergewählt werden und wirbt deshalb mit seinen wirtschaftlichen Erfolgen. Zu recht?
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Item 21
Id 68860304
Date 2024-04-18
Title Kann sich der Iran einen Krieg wirtschaftlich leisten?
Short title Kann sich der Iran einen Krieg wirtschaftlich leisten?
Teaser Der Iran leidet seit Jahren unter hoher Inflation, Währungsverfall und internationalen Sanktionen. Neue westliche Maßnahmen und ein längerer militärischer Konflikt könnten das Land vor massive Herausforderungen stellen.

Während die USA und die EU über neue Sanktionen gegen Teheran nachdenken, trumpft der Iran mit einer Erfolgsmeldung auf: Das Land hat mehr Öl als je zuvor in den letzten sechs Jahren exportiert. Und das trotz neuer US-Sanktionen, die 2018 der damalige Präsident Donald Trump in Kraft gesetzt hatte.

Irans Ölminister Javad Owji verkündete im März, dass die Ölexporte 2023 "mehr als 35 Milliarden Dollar" in die iranischen Kassen gespült hätten. Die "Feinde des Iran" wollten zwar seine Öl-Exporte stoppen, "aber heute können wir Öl überall hin exportieren, wo wir wollen, und das mit minimalen Rabatten", zitiert die Financial Times den Ölminister.

Die eingenommenen Dollar-Milliarden sind für das Land enorm wichtig, um innenpolitisch für sozialen Frieden zu sorgen. Denn ein großer Teil der Bevölkerung leidet unter den Folgen der internationalen Sanktionen: Sie haben zu einem Verfall der Landeswährung Rial geführt und die Inflation kräftig in die Höhe getrieben.

Die Inflation ist mit zuletzt rund 40 Prozent ohnehin hoch und jede Verschärfung der geopolitischen Spannungen drückt zusätzlich auf den Wert des Rial, erklärt Djavad Salehi-Isfahani, Wirtschafts-Professor an der US-Hochschule Virginia Tech, im Interview mit der DW.

Der Dollar habe in den letzten Wochen, als man mit einer Verschärfung des Konflikts mit Israel rechnete, um rund 15 Prozent an Wert gegenüber der iranischen Landeswährung zugelegt. Das habe dazu geführt, dass der Rial in den vergangenen Monaten ein Viertel seines Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren hat, rechnet Isfahani vor. "Diese Abwertung des Wechselkurses schlägt sich sehr schnell in höheren Preisen nieder, weil der Iran viele Waren importiert." Außerdem hätten viele Waren, die man im Land selbst produziert, auch eine Importkomponente. "Ich denke daher, dass sich das Land aktuell auf eine höhere Inflation einstellen muss."

Lebensstandard auf dem Niveau von 2005

Weil sich der Iran nicht selbst mit Nahrungsmitteln versorgen kann, treiben der Wertverfall der Währung und die starke Inflation die ohnehin schon hohen Preise für Lebensmittel noch weiter oben. "Das wird sich stark auf das Wohlergehen der Armen auswirken, weil Nahrungsmittel etwa die Hälfte ihrer Ausgaben ausmachen", sagt der Experte für die Wirtschaft des Nahen Ostens.

Auch für die Mittelschicht habe sich die wirtschaftliche Lage in den letzten beiden Jahrzehnten spürbar verschlechtert. "Der Lebensstandard ist wegen der Sanktionen wieder auf dem Stand von vor 20 Jahren", so Isfahani. Die Wirtschaftsleistung liege dagegen "etwa auf demselben Niveau oder vielleicht ein paar Prozent höher". Trotzdem würde auch sie sehr empfindlich auf weitere Rückgänge reagieren.

Nach den Zahlen des Datendienstleisters Statista hat im Jahr 2022 die Landwirtschaft geschätzte 12,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Iran beigetragen: Die Industrie steuerte rund 40 Prozent und der Dienstleistungssektor etwa 47 Prozent bei.

Wirtschaftliche Situation steht und fällt mit Ölexporten

Dabei ist das Land extrem abhängig vom Rohöl-Export. Seit mehr als 90 Prozent des Öls nach China verschifft werden, laufen auch die Sanktionen des Westens immer mehr ins Leere. Umso mehr sorgen sich die Machthaber in Teheran, dass der Ölsektor als wichtigste Devisenquelle Ziel eines militärischen Vergeltungsschlags Israels werden könnte.

"Ich bin mir sicher, dass sie sehr besorgt sind, weil ein Krieg, der die Infrastruktur für den Ölexport beschädigt, einen schweren Schlag für die Wirtschaft bedeuten würde", bringt es Isfahani auf den Punkt. Nach dem Schock der 2018 durch Trump verhängten Sanktionen habe der Iran mittlerweile wieder 80 Prozent seiner damaligen Exportmenge erreicht. Die meisten Experten führten das auf die Aufweichung der Sanktionen zurück, seit Joe Biden an der Macht ist, so Isfahani.

"Die iranische Wirtschaft ist in der Tat zum Teil durch die Zunahme der Ölexporte gewachsen. Nicht der gesamte Anstieg des BIP, der sich auf etwa fünf Prozent pro Jahr beläuft, was im Vergleich zu dem, was in der Region insgesamt nach der Covid-Pandemie passiert, nicht schlecht ist", erklärt Isfahani.

Allerdings habe sich das nicht in einem höheren Lebensstandard für die Bevölkerung niedergeschlagen, betont der Iran-Experte. Denn viele finanzielle Ressourcen seien in den Ausbau des Militärs und anderer Maßnahmen des Regimes geflossen.

Korruption und Intransparenz

Viel Geld versickert ohnehin in den intransparenten Strukturen der schiitischen Machthaber in Teheran. Im Index von Transparency International, der die wahrgenommene Korruption misst, steht Iran auf Platz 149 von 180 Ländern. Deutschland rangiert dort auf Platz neun, die USA auf dem 24. Rang.

Besonders undurchsichtig ist die Rolle der Revolutionsgarden (eine Parallelarmee) und religiösen Stiftungen, die zentrale Teile der Wirtschaft kontrollieren. Sie zahlen keine Steuern, müssen keine Bilanzen vorlegen und sind vor allem dem politischen und religiösen Oberhaupt der Islamischen Republik, Ajatollah Ali Chamenei, unterstellt.

Für den Nahost-Experten Martin Beck von der University of Southern Denmark (SDU) ist die Wirtschaft des Iran geprägt durch "eine Vermengung der politischen mit der wirtschaftlichen Sphäre, die eine mit hoher Korruption verbundene staatliche Verteilungs- und Klientelpolitik befördert".

Niedrige Wirtschaftsleistung pro Kopf

Aber obwohl sich die Einnahmen aus dem Ölexport in den vergangenen Jahren zunehmend stabilisiert haben, ist der Iran alles andere als ein ökonomisches Schwergewicht. Obwohl seine Bevölkerung mit rund 88 Millionen fast zehnmal so groß ist wie die seines Erzfeindes Israel (neun Millionen), war seine Wirtschaftsleistung 2022 mit 413 Milliarden US-Dollar deutlich niedriger als die des jüdischen Staates mit 525 Milliarden US-Dollar.

Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag 2022 im Iran mit geschätzten rund 4043 US-Dollar weit abgeschlagen hinter Israel (54.336 US-Dollar) und dem regionalen Rivalen Saudi-Arabien mit rund 34.441 US-Dollar. Wie dramatisch der Absturz der Wirtschaftsleistung im Staat der Mullahs ist, macht der Vergleich zum Jahr 1990 deutlich: Damals lag das Bruttoinlandsprodukt laut Statista pro Kopf im Iran bei 10.660 US-Dollar, also mehr als doppelt so hoch.

Wie sich die Wirtschaft des Landes weiter entwickelt, hängt vor allem davon ab, ob neue westliche Sanktionen die iranischen Ölexporte spürbar drosseln können.

Ölexporte sind entscheidend

Teheran ist es gelungen, in den ersten drei Monaten des Jahres durchschnittlich 1,56 Millionen Barrel (ein Barrel sind rund 159 Liter) Rohöl pro Tag zu verkaufen - und zwar fast alles nach China. Das war nach Informationen des Datenanbieters Vortexa der höchste Wert seit dem dritten Quartal 2018.

"Die Iraner beherrschen die Kunst, Sanktionen zu umgehen", wird Fernando Ferreira von der Rapidan Energy Group in den USA in der Financial Times zitiert. "Wenn die Biden-Regierung wirklich etwas bewirken will, muss sie den Fokus auf China verlagern."

Die USA sind zwar mittlerweile viel unabhängiger von Öl-Exporten aus dem Nahen Osten. Trotzdem würden höhere Ölpreise durch eine Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran auch die Weltmarkt-Preise - und damit die Inflation weiter in die Höhe treiben. Für US-Präsident Joe Biden wäre das in einem Wahljahr mehr als ungünstig und eine Steilvorlage für seinen Herausforderer Donald Trump.

Doch ganz gleich, ob es zu einer Verschärfung der Sanktionen kommt oder nicht. Wäre die iranische Wirtschaft aktuell bereit für eine mögliche militärische Eskalation mit Israel?

Die Antwort von Djavad Salehi-Isfahani ist deutlich: "Insgesamt ist sie nicht bereit für einen längeren militärischen Konflikt. Deshalb haben sie (die Machthaber in Teheran, Anm. d. Red.) sehr darauf geachtet, sich nicht zu sehr in den Gaza-Krieg einzumischen. Und der Angriff auf Israel war eher symbolisch als einer, der Schaden anrichten wollte."

Short teaser Neue westliche Maßnahmen und ein längerer militärischer Konflikt könnten das Land vor massive Herausforderungen stellen.
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Item 22
Id 68860983
Date 2024-04-18
Title Großeinsatz und mehrere Verhaftungen bei Cannabis-Betrugsfall
Short title Mehrere Verhaftungen bei Cannabis-Betrugsfall
Teaser Ermittler haben elf Personen wegen eines Anlage-Betrugssystems mit Cannabis verhaftet. Weitere Haftbefehle stehen aus. Die DW hat den Fall "JuicyFields" eng begleitet und frühzeitig auf die nun Verhafteten hingewiesen.

Es war im Juli 2022, als tausende Anleger plötzlich nicht mehr an ihr Geld kamen. Sie hatten in ein Berliner Unternehmen mit dem Namen JuicyFields investiert. Das hatte zwei Jahre lang mit hohen Renditen für ein Investment in Cannabis gelockt. Doch im Juli brannten die Kriminellen mit dem Geld durch und tauchten unter.

Nach den neuesten Schätzungen der europäischen Polizeibehörde Europol hat das Berliner Startup bei Anlegern 645 Millionen Euro eingesammelt. Knapp 200.000 Menschen sollen JuicyFields ihr Geld anvertraut haben.

Weitere Verhaftungen könnten folgen

Ein Jahr und neun Monate später hatte die Polizei nun anscheinend ausreichend Beweise: In einer Nacht- und Nebelaktion mit dem Namen "Action Day"haben Behörden aus mehr als 30 Ländern Ende vergangene Woche gleichzeitig fast 40 Wohnungen und Büros durchsucht. 400 Beamte waren in elf Ländern im Einsatz und verhafteten insgesamt neun Personen - darunter auch den mutmaßlichen Strippenzieher in der Dominkanischen Republik.

Am Stockholmer Flughafen Arlanda wurden wenige Tage später eine Frau und ihr Freund festgenommen. Sie sollen laut einem Medienbericht nach Spanien überführt werden. Weitere Verhaftungen könnten folgen. So sagte ein Pressesprecher der spanischen Polizei im Gespräch mit der DW, dass weitere acht Haftbefehle vorliegen, die noch nicht vollstreckt seien. "Die Aktion ist ein Signal, dass wir in Europa auch bei komplexen Fällen die Kriminellen bekommen können", so der Sprecher weiter.

Die Leitung der Ermittlung lag bei Behörden in Frankreich, Spanien und Deutschland. "Das war auf jeden Fall eine der größeren Nummern", sagte die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Berlin, Karen Häußer, zur DW. "Das erfordert auch sehr viele Personen, die daran beteiligt sind. Sehr viele spezialisierte Kräfte. Das war insgesamt schon ein enormer Kräfteaufwand, das zu ermitteln", so Häußer.

Verhaftungen bestätigen DW-Recherchen

Auf internationalen Cannabismessen trat JuicyFields lange Zeit pompös auf: Mit Lamborghinis, Helikoptern, eindrucksvollen Partys und großen Messeständen versuchte das Unternehmen, das Vertrauen von Anlegern zu gewinnen.

Der DW kam das System JuicyFields bereits Mitte 2021 verdächtig vor. Seitdem recherchierte sie zu dem Fall. Sie befragte Manager zum Geschäftsmodell und begleitete euphorische Anleger, als die Betrugsmasche noch nicht aufgeflogen war. Nachdem die Kriminellen sich Mitte 2022 mit dem Geld der Anleger aus dem Staub machten, begab sich die DW auf die Spurensuche nach den Drahtziehern. Aus den Recherchen entstand der achtteilige Podcast Cannabis Cowboys, zu hören auf Englisch und Deutsch.

Die internationalen Verhaftungen bestätigen nun die DW-Nachforschungen. Weder die deutschen Behörden noch Europol wollen sich zur Identität der Verhafteten äußern. Doch durch eigene Recherchen und Insiderinformationen sind der DW die Namen bekannt. Dabei handelt es sich um diejenigen Personen, die schon im Rahmen der Podcast-Reihe beleuchtet wurden - bis hin zum mutmaßlichen Boss der Bande.

Wer steckt hinter JuicyFields?

In der Dominikanischen Republik wurde nun ein Mann mit russischem Pass festgenommen. Laut lokalen Medien handelt es sich dabei um Sergei Berezin, der auch unter dem Decknamen Paul Bergholts auftrat. Europol bezeichnet den Mann als den "möglichen Hauptorganisator des Betrugssystems".

Laut einem Whistleblower, den die DW Anfang 2023 in Finnland traf, hat sich Sergei Berezin alias Paul Berholts die Betrugsmasche bis ins letzte Detail ausgedacht. Demnach soll Paul Berholts ein Computernerd sein, der selbst gerne Cannabis raucht und mit seinem engsten Kreis vom russischen St. Petersburg aus agierte.

Nach dem Ende von JuicyFields sollen er und sein enger Kreis mit Yachten in der Karibik gesegelt sein. "Sie haben dort Häuser und Land gekauft und in Unternehmen investiert", so der Whistleblower. Der nun verhaftete mutmaßliche Drahtzieher soll nun von der Dominikanischen Republik nach Spanien ausgeliefert werden.

Bei ihrem Großeinsatz konnte die Polizei Bargeld, Konten, Kryptowährungen und Immobilien im Wert von insgesamt neun Millionen Euro beschlagnahmen. Sollte die Summe im Laufe der weiteren Ermittlungen nicht anwachsen, werden Anleger wohl kaum einen Großteil ihre Einlagen wiedersehen.

Was war JuicyFields?

JuicyFields bot Investoren sogenanntes E-Growing an. Dabei konnte man am Anbau und Verkauf von medizinischem Cannabis profitieren. Anleger konnten auf dem Computer verfolgen, wie ihre Pflanzen wuchsen, getrocknet und verkauft wurden. JuicyFields versprach dabei absurd hohe Renditen von bis zu 100 Prozent im Jahr. Wie üblich bei einem Schneeballsystem, wurden diese anfangs auch ausbezahlt, um möglichst viele neue Anleger zu gewinnen. Denn bei einem Schneeballsystem werden alte Anleger mit den Einzahlungen von neuen Anlegern bedient.

Die Einstiegshürde war dabei sehr niedrig. Schon ab 50 Euro konnten Anleger eine virtuelle Cannabis-Pflanze kaufen. Zwei Jahre funktionierte die Masche - JuicyFields eröffnete währenddessen Büros und Niederlassungen in Amsterdam und der Schweiz und verkündete etliche Partnerschaften und Beteiligungen.

Die Spur führt nach Russland

Bei ihren Recherchen hat die DW auch frühzeitig darauf hingewiesen, dass die Drahtzieher des Betrugssystems in Russland sitzen. Das bestätigt auch Karen Häußer von der Staatsanwaltschaft Berlin: "Momentan wird weiter davon ausgegangen, dass die Unternehmensstruktur von Russland aus gesteuert wurde."

Den Verhafteten muss nun der Prozess gemacht werden. In Deutschland muss das innerhalb von sechs Monaten stattfinden; in Spanien bis zu zwei Jahre nach Verhaftung. Verlängerungen sind möglich. Die Behörden müssen nun alle Daten auswerten, die ihnen zur Verfügung stehen. Womöglich setzen sie auch darauf, dass einige der Verhafteten mit der Polizei kooperieren.

Hier finden Sie achtteilige Podcast-Serie Cannabis Cowboys finden sie hier auf Deutschund hier auf Englisch. Und überall da wo es Podcasts gibt.

Short teaser Die DW hat den Betrugsfall um JuicyFields eng begleitet und frühzeitig auf die nun Verhafteten hingewiesen.
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Item 23
Id 68826462
Date 2024-04-15
Title Was bedeutet der Angriff des Irans auf Israel für die Weltwirtschaft?
Short title Der Angriff des Irans und die ökonomischen Folgen
Teaser Am Freitag noch hatten die Finanzmärkte mit Kursrückgängen auf die drohende Attacke des Iran auf Israel reagiert. Nachdem der massive Angriff fast komplett abgewehrt wurde, atmen die Investoren auf - vorerst zumindest.

Nachdem Israel den iranischen Angriff mit Hunderten Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen ohne größere Schäden abwehren konnte, herrscht erst einmal Erleichterung an den internationalen Finanzmärkten: Die Ölpreise sinken leicht und die Futures auf den US-Index S&P 500 haben ins Plus gedreht. Trotzdem ist "seit Freitag die Geopolitik wieder die größte Sorge für die Märkte" geworden, schreiben die Analysten der Deutschen Bank in einer Mitteilung an ihre Kunden.

Immer, wenn sich die geopolitische Lage im Nahen Osten verschärft, lässt sich das weltweit an den Ölpreisen ablesen: Denn die Preise für das Nordseeöl Brent oder sein US-Pendant WTI (West Texas Intermediate) sind wie die Fieberkurve der Weltwirtschaft.

Allerdings hatten die Sorgen vor einer Eskalation im Nahen Osten die Preise für Rohöl schon vor dem iranischen Angriff auf Israel um rund zehn Prozent nach oben getrieben. Laut Rohstoff-Experte Jorge León von Rystad Energy, einem Energieberatungsunternehmen in Oslo, war dieser Anstieg "fast ausschließlich auf den anhaltenden Konflikt zurückzuführen".

Ölpreise treiben Inflation

"Als allgemeine Faustregel gilt, dass ein Anstieg der Ölpreise um zehn Prozent die Gesamtinflation in den Industrieländern um 0,1 bis 0,2 Prozent erhöht. Dementsprechend wird der Anstieg des Ölpreises im vergangenen Monat die Gesamtinflation in diesen Volkswirtschaften um etwa 0,1 Prozent erhöhen", rechnet Neil Shearing vor, Chefvolkswirt bei Capital Economics.

Doch wie wahrscheinlich ist es, dass die Notenbanken durch den erhöhten Inflationsdruck ihre geplanten Zinssenkungen auf Eis legen?

Es sei unwahrscheinlich, dass dies einen wesentlichen Einfluss auf die geldpolitischen Entscheidungen der Zentralbanken haben wird, glaubt Shearing. Dazu müssten die Ölpreise stärker und nachhaltiger steigen. Entscheidend seien die Auswirkungen auf die Kerninflation, der Anstieg der Verbraucherpreise ohne die Berücksichtigung von Nahrungsmitteln und Energie. Denn erst wenn die Erzeuger ihre höheren Energiekosten an die Verbraucher weitergeben, könnten die Notenbanken bei den für 2024 angekündigten Zinssenkungen auf die Bremse treten, glaubt Shearing.

Zuletzt war vor allem in den USA die Inflation wieder in den Fokus gerückt. Im März 2024 waren die US-Verbraucherpreise um rund 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat angestiegen. Neil Shearing von Capital Economics sieht deshalb erst für den Herbst genug Spielraum für die US-Notenbank Federal Reserve für eine Zinssenkung in den USA: "Wir rechnen mit dem ersten Schritt im September. Und unter der Annahme, dass die Energiepreise in den nächsten Monaten nicht in die Höhe schnellen, gehen wir davon aus, dass sowohl die EZB als auch die BoE (Bank of England) im Juni eine Zinssenkung vornehmen werden."

Steigerung der Öl-Förderung in Sicht?

Eine weitere große Unbekannte ist die künftige Förderpolitik der so genannten OPEC+. Darunter versteht man die traditionellen Förderländer des Nahen Ostens, Afrikas und Venezuela, die mit den Nicht-OPEC-Staaten wie Russland, Kasachstan, Mexiko und Oman kooperieren. Rohstoff-Experten diskutierten zuletzt verstärkt darüber, ob etwa die Vereinigten Arabischen Emirate ihre Fördermenge demnächst ausweiten könnten, um einer Abkühlung der Weltkonjunktur durch zu teures Öl entgegenzuwirken.

Aktuell haben die Förderländer ihre freiwilligen Produktionskürzungen bis Ende Juni verlängert. Erst auf der Ministertagung der OPEC am 2. Juni könnten diese Kürzungen rückgängig gemacht werden, erklärt Jorge León. "Sollte die geopolitische Lage in der Region jedoch weiter eskalieren, könnte die Gruppe in den kommenden Wochen ein außerordentliches Treffen abhalten", so der Ölmarkt-Experte.

Mit fast sechs Millionen Barrel pro Tag (1 Barrel sind rund 159 Liter) an freien Kapazitäten könnte die OPEC die Produktion leicht erhöhen, um den Preisdruck nach oben zu begrenzen, falls der Konflikt eskaliert. Die Wahrscheinlichkeit dafür sei hoch, unterstreicht Jorge León.

"Anhaltend höhere Ölpreise würden die Inflation im Westen wieder anheizen und die Zentralbanken dazu veranlassen, alle Bemühungen um eine geldpolitische Normalisierung zu verschieben, was zu einem schwächeren globalen Wirtschaftswachstum führen würde", so der Rystad Energy-Analyst.

Entscheidend für die weitere Richtung der Ölpreise ist auch die Situation in der Straße von Hormus, wo seit Monaten Angriffe der mit Teheran verbündeten Huthi-Miliz auf die internationale Schifffahrt die Frachtpreise in die Höhe getrieben hat. Nach der Beschlagnahmung eines "mit Israel verbundenen Schiffes", wie es die Machthaber in Teheran formulieren, am Samstag durch den Iran, rückt die Meerenge, durch die rund ein Fünftel des weltweit gehandelten Öls transportiert wird, wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Warten auf Reaktion Israels

Jetzt warten die Märkte auf die Reaktion Israels. Es gibt widersprüchliche Signale, wie das israelische Kriegskabinett auf die Attacke Teherans reagieren könnte. Die USA versuchen, mäßigend auf die Regierung in Jerusalem einzuwirken. Aber kaum jemand glaubt, dass es gar keine Reaktion Israels geben wird.

"Wer erwartet, dass Israel auf Irans beispiellose Attacke nicht reagiert, leidet entweder unter Wahnvorstellungen oder hat keine Ahnung davon, wie die Dinge im Nahen Osten funktionieren - oder beides", schrieb Avi Mayer, der frühere Chefredakteur der Jerusalem Post, auf X. "Darauf nicht zu reagieren würde man als Feigheit sehen und das würde nur noch zu mehr und schwerwiegenderen Angriffen einladen. Israel wird darauf antworten", so Mayer.

Bleibt abzuwarten, wie stark diese Reaktion ausfällt. "Im schlimmsten Fall könnte ein energischer Vergeltungsschlag Israels eine Eskalationsspirale auslösen, die möglicherweise zu einem beispiellosen regionalen Konflikt führt", befürchtet Jorge León.

Unter diesen Umständen "würden die geopolitischen Prämien deutlich steigen" und eine neue Runde von US-Sanktionen gegen den Iran könnte die Weltwirtschaft stärker belasten, als es zurzeit absehbar ist.

Short teaser Nachdem der massive Angriff fast komplett abgewehrt wurde, atmen die Investoren auf - vorerst zumindest.
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Item 24
Id 68777948
Date 2024-04-09
Title Historisches Duell um die Präsidentschaft in Mexiko
Short title Historisches Duell um die Präsidentschaft in Mexiko
Teaser Bei den Präsidentschaftswahlen in Mexiko steht ein Ergebnis schon fest: Erstmals wird das Land eine Präsidentin bekommen. Die Kandidatinnen Claudia Sheinbaum und Xochitl Gálvez duellierten sich nun erstmals im TV.

Nach einer Blitzumfrage des Instituts Massive Caller unmittelbar nach der ersten TV-Debatte scheinen die Präsidentschaftskandidatinnen Claudia Sheinbaum und Xochitl Gálvez der jeweiligen Konkurrentin kaum Wähler abgejagt zu haben. Sie hätten vielmehr drei Viertel der Zuschauer der TV-Debatte in ihrer vorgefassten Meinung bestärkt.

Claudia Sheinbaum, ehemalige Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt, ist enge Vertraute des amtierenden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador, genannt AMLO. Die studierte Physikerin wurde am 18. Februar dieses Jahres zur offiziellen Präsidentschaftskandidatin der Morena-Partei gekürt und führt die Umfragen an.

An zweiter Stelle liegt Senatorin Bertha Xóchitl Gálvez Ruiz. Die Systemanalytikerin tritt für das Oppositionsbündnis Fuerza y Corazón por México an, in dem sich konservative (PAN), Mitte-Rechts- (PRI) und Linksparteien (PRD) zusammengeschlossen haben.

Größte Wahlen in Mexikos Geschichte

Bei den Mega-Wahlen am 2. Juni sind nach Angaben des Nationalen Wahlinstituts (INE) 98 Millionen Mexikanerinnen und Mexikaner aufgefordert, ihre Stimme abzugeben. Mexikos Präsident López Obrador darf nach sechs Jahren Amtszeit nicht erneut antreten.

Zum ersten Mal in der Geschichte Mexikos konkurrieren zwei Frauen um das höchste Amt in einem der größten Länder Lateinamerikas. Neben dem Präsidentenamt werden auch der Kongress, die Regierungen von neun Bundesstaaten sowie mehr als 20.000 öffentliche Ämter neu gewählt.

Statistenrolle für männlichen Kandidaten

In der TV-Debatte konfrontierten sich Sheinbaum und Gálvez Ruiz über weite Strecken mit persönlichen Korruptionsvorwürfen. Der dritte Bewerber, Jorge Alvarez Maynez von der kleinen Mitte-Links Partei Movimiento Ciudadano, versuchte sich als alternative Option zwischen den beiden ideologisch klar abgegrenzten Polen zu positionieren, spielte aber eher eine Statistenrolle.

Umfragen zufolge wollen am Wahltag 51 Prozent für Sheinbaum stimmen, 34 Prozent für Gálvez und sieben Prozent für Maynez. Zwischen 20 und 30 Prozent der Wahlberechtigten sind aber noch unentschieden oder antworteten nicht.

Vor dem Wahltermin soll es noch zwei weitere Debatten geben. Dabei kommen dann heiklere Themen wie die Sicherheitsstrategie und die Wirtschaftspolitik zur Sprache. In der ersten Debatte ging es vor allem um Soziales und Korruptionsbekämpfung.

Viele Vorschläge verpuffen

"Die knapp zweistündige Fernsehdebatte wirkte mit sieben Themen über weite Strecken steif und überfrachtet", sagte Florian Huber von der Heinrich-Böll-Stiftung in Mexiko der DW. "Die kurzen Zeitfenster für Antworten ließen kaum Raum für einen echten Schlagabtausch zwischen den Teilnehmenden."

Ähnlich sieht das die Generaldirektorin der Beraterfirma Consultores y Marketing Político, Gisela Rubach: "Während der Debatte kamen insgesamt 52 Reformvorschläge auf den Tisch", sagt sie. "Doch alles blieb wegen der kurzen Zeit oberflächlich, und kaum ein Zuschauer dürfte sich auch nur an fünf dieser Reformvorschläge erinnern", kritisierte sie im Radiosender Imagen.

Beliebte Sozialprogramme

Die 61-jährige Claudia Sheinbaum präsentierte sich als treue Gefolgsfrau von López Obrador und verwies auf ihre Erfahrung der vergangenen sechs Jahre als Hauptstadtbürgermeisterin von Mexico City.

López Obrador erfreut sich noch immer großer Beliebtheit. Etwa 65 Prozent der Bevölkerung stehen hinter ihrem linken Staatschef. Grund dafür könnte die von ihm vorangetriebene Ausweitung staatlicher Sozialprogramme sein.

So erhalten Menschen über 65 Jahre alle zwei Monate umgerechnet etwa 250 Euro Rente, Personen mit Behinderungen 150 Euro und alleinerziehende Mütter gut 80 Euro. Zudem verdoppelte López Obrador den Mindestlohn.

Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes verläuft nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD überraschend positiv. Für 2024 wird mit einem Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent gerechnet, 2023 lag die Rate bei 3,1 Prozent.

Die Staatsverschuldung liegt bei knapp 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), die Arbeitslosigkeit bei rund drei Prozent. Zum Vergleich: In den USA summieren sich die öffentlichen Schulden auf 124 Prozent des BIP.

Ausufernde Kriminalität

Trotz der positiven wirtschaftlichen Entwicklung bietet die Bilanz von López Obrador viele Angriffsflächen. Mexikanische Hochschulen leiden unter Finanznot. In der Energiepolitik setzt AMLO trotz des Klimawandels auf den Ausbau fossiler Energien.

Einen schweren Rückschlag erlitt er bei seinem Versuch, den staatlichen Mineralölkonzern Pemex zu retten. Die dafür notwendige Verfassungsänderung scheiterte an der fehlenden Zweidrittelmehrheit im Parlament.

Beim Thema öffentliche Sicherheit ist die Lage verheerend. Nach Angaben des mexikanischen Statistikamtes ENEGI wurden 2022 in Mexiko täglich 85 Morde verübt. 2021 waren es 91 Fälle täglich.

Und als ob das nicht genug wäre, wurde dieser Tage das 140.000-Einwohner-Städtchen Colima in einer Studie zur gewalttätigsten Stadt der Welt gekürt. Unter den zehn gefährlichsten Städten weltweit sind allein neun aus Mexiko.

Dieser Artikel wurde am 9. April erweitert und aktualisiert.

Short teaser Bei den Wahlen in Mexiko steht schon fest: Erstmals wird das Land eine Präsidentin bekommen: Sheinbaum oder Gálvez?
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Image caption Im mexikanischen Wahlkampf führen Claudia Sheinbaum (links) und Xóchitl Gálvez (rechts) die Umfragen an
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Item 25
Id 68770540
Date 2024-04-08
Title Tech-Milliardär Elon Musk legt sich mit Brasiliens Justiz an
Short title Tech-Milliardär Elon Musk legt sich mit Brasiliens Justiz an
Teaser "Schande über Dich": US-Milliardär Musk wirft Brasiliens Oberstem Richter Verfassungsbruch und Zensur vor. Der juristische Showdown versetzt das Land in Aufruhr und löst eine neue Welle politischer Polarisierung aus.

Ganz besonders hat Elon Musk es auf Alexandre de Moraes abgesehen, einen der zehn Richter am brasilianischen Verfassungsgericht(Supremo Tribunal Federal, STF).

"Warum fordern Sie so viel Zensur in Brasilien?", fragte er den Verfassungsrichter in einem Post am vergangenen Wochenende auf seiner Online-Plattform X, ehemals Twitter.

Kurz danach warf er Moraes in einem weiteren Post vor, die brasilianische Verfassung zu verletzen und die Bevölkerung zu hintergehen. Er forderte: "Moraes sollte zurücktreten oder seines Amtes enthoben werden. Schande über Dich, Alexandre".

Damit nicht genug. Musk kündigte auch an, er werde sich über die Verordnungen der brasilianischen Justiz hinwegsetzen und die gesperrten Konten im Netzwerk wieder freischalten.

Moraes hatte die Plattform X angewiesen, bestimmte Konten zu sperren - darunter auch die eines Bloggers und zweier Kongressabgeordneter. Schon seit längerem geht das Gericht gegen "digitale Milizen" vor, die Desinformation und Hetze im Netz verbreiten. Im Zuge der Ermittlungen ordnete Moraes die Schließung mehrerer Konten von Verdächtigen an.

Justiz ermittelt gegen Musk

"Wir heben alle Restriktionen auf", so Musk. "Dieser Richter hat hohe Strafen verhängt, er hat damit gedroht, unsere Mitarbeiter zu verhaften und den Zugang zu X in Brasilien zu blockieren. Wir werden wahrscheinlich unsere Niederlassung in Brasilien schließen müssen, aber die Prinzipien sind wichtiger als der Gewinn."

Die Reaktion von Moraes ließ nicht lange auf sich warten. Er ordnete an, dass die Bundespolizei Ermittlungen gegen Musk wegen Behinderung der Justiz und Anstiftung zu Straftaten einleitet.

Außerdem verfügte er, dass nun im Rahmen der Untersuchungen zur Existenz sogenannter antidemokratischer digitaler Milizen und deren Finanzierung auch gegen Musk ermittelt werde.

"Mythos der Freiheit"?

Die Konfrontation zwischen Musk und Moraes sorgt für eine neue Polarisierung in Brasilien. Während die New York Times den Richter auf ihrem Titel als "Verteidiger der Demokratie" feierte, bezeichnete Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro Musk als "Mythos der Freiheit".

Bolsonaro rief seine Anhänger dazu auf, am 21. April an der Copacabana in Rio de Janeiro "für die Freiheit auf die Straße zu gehen". Bolsonaros Sohn Eduardo, Abgeordneter im brasilianischen Parlament, kündigte an, er wolle im Auswärtigen Ausschuss eine Anhörung zu den "Twitter Files und Zensur in Brasilien" mit Experten einberufen.

Streit um interne Twitter-Daten

Hinter dem Begriff "Twitter Files" verbirgt sich die Veröffentlichung ausgewählter interner X-Dokumente, die zwischen Dezember 2022 und März 2023 in dem Netzwerk veröffentlicht wurden. Musk übergab diese einigen Journalisten, darunter auch dem US-amerikanischen Autor Michael Shellenberger.

Der Klimaschutzskeptiker bezeichnet sich selbst als "libertären Aktivisten" und verteidigt kontroverse Positionen. Shellenberger wurde bereits mehrfach wegen der Veröffentlichung falscher Daten zu Umweltfragen angegriffen.

In einem Post auf X behauptete ernun, Brasilien stehe "am Rande einer Diktatur". "Das brasilianische Verfassungsgericht kann den Zugang zu Twitter jederzeit kappen. Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass Brasilien am Rand einer Diktatur steht, die von einem totalitären Verfassungsgericht ausgeht, das sich in den Händen des Richters Alexandre de Moraes befindet", schreibt er.

"Einseitige Zensur"

Shellenberger beschuldigt das höchste brasilianische Gericht, mehrere Rechtsverstöße begangen zu haben. So habe Moraes das Netzwerk verpflichtet, persönliche Daten von Nutzern herauszugeben, weil sie Hashtags veröffentlicht hätten, die Moraes "nicht gefielen".

Moraes habe außerdem Zugang zu den internen Daten des sozialen Netzwerks angefordert, was gegen die Richtlinien der Plattform verstoße. Er habe eine "einseitige Zensur" von Beiträgen brasilianischer Parlamentarier vorgenommen sowie versucht, das Netzwerk zur Bekämpfung von Anhängern des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro einzusetzen.

Der brasilianische Jurist Fernando Boscardin, der an der "School of Law" der Universität Miami unterrichtet, widerspricht. Es gehe Shellenberger nicht um freie Meinungsäußerung. "In Wirklichkeit will er die Regulierung von Social Media Plattformen nach europäischem Vorbild verhindern".

Gesetz gegen Fake News

In Brasilien steht laut Medienberichten nun die Abstimmung über ein Gesetz gegen Fake News im Kongress bevor. Der erste Entwurf stammt bereits aus dem Jahr 2020. Er war aufgrund des Widerstands der Tech-Konzerne und der Vertreter rechter Parteien mehrmals zurückgezogen worden, zuletzt im Mai 2023.

Aufgrund dieser Verzögerung erließ Brasiliens Oberstes Wahlgericht TSE am 27. Februar dieses Jahres mehrere Resolutionen mit Vorschriften für die bevorstehenden Kommunalwahlen am 6. Oktober. Diesen sehen vor, dass Wahlgerichte über "effiziente Instrumente verfügen, um Verzerrungen bei Parteienwerbung, Hatespeech, antidemokratischen Äußerungen oder bei dem Gebrauch von Künstlicher Intelligenz zu bekämpfen".

"Verstoß gegen nationale Souveränität"

Für die von der brasilianischen Tageszeitung O Globo befragten Fake-News-Experten gehen die jüngsten Äußerungen Elon Musks eindeutig zu weit. "Wenn ein Verstoß gegen die Verfassung vorliegen sollte, dann müsste Musk dies vor Gericht klären lassen", erklärt Juristin Yasmin Curzi, Professorin an der Universität Fundação Getulio Vargas in Rio de Janeiro.

Und sie fügt hinzu: "Die Ankündigung, sich über gerichtliche Anordnungen hinwegzusetzen, ist ein Verstoß gegen die nationale Souveränität".

Short teaser Milliardär Musk wirft Brasiliens Oberstem Richter Zensur vor. Der juristische Showdown versetzt das Land in Aufruhr.
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Item 26
Id 68744224
Date 2024-04-04
Title Stoltenberg: NATO wird Differenzen überwinden
Short title Stoltenberg: NATO wird Differenzen überwinden
Teaser NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte der DW zum 75. Jahrestag der Allianz, die NATO sei das erfolgreichste Bündnis der Geschichte. Die USA würden ein fester NATO-Partner bleiben, auch mit Donald Trump.

In 75 Jahren hat die NATO viele Krisen durchlebt und manchen politischen Streit ausgehalten. Zurzeit mühen sich die Jubilare, die Einheit bei der Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine zu wahren. Die USA zahlen im Moment nicht, weil der Kongress entsprechende Gesetze nicht verabschiedet. In einigen NATO-Staaten herrscht Skepsis, ob die Ukraine Russland wirklich besiegen kann. Die baltischen Staaten drängen auf mehr Hilfe. Immer wieder gibt es gegenseitige Vorwürfe, man liefere nicht schnell und umfassend genug Waffen.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht die Streitigkeiten durchaus, aber in den zurückliegenden Jahrzehnten habe sich die Allianz immer wieder zusammengerauft. "Trotz dieser Differenzen sind wir immer fähig gewesen, uns für die Kernaufgabe, unseren Schutz und unsere Verteidigung, untereinander zu einigen", sagte Jens Stoltenberg in einem Interview mit der Deutschen Welle nach der Außenministertagung in Brüssel.

"USA mit NATO stärker als ohne"

Auch wenn bei den US-Wahlen im Herbst der radikale Republikaner Donald Trump wieder das Weiße Haus erobern würde, würden die USA ein standhaftes NATO-Mitglied bleiben, versicherte der Generalsekretär. "Denn das ist im Sicherheitsinteresse der USA. Die USA sind mit der NATO stärker als ohne", so Jens Stoltenberg. Die Kritik von Donald Trump habe sich ja nicht gegen die NATO als Bündnis, sondern gegen säumige einzelne NATO-Mitglieder gerichtet. Inzwischen seien die Ausgaben für Verteidigung gestiegen.

"Der Plan ist jetzt, dass alle NATO-Mitglieder, auch die USA, die notwendigen Entscheidungen treffen, um ihre Unterstützung für die Ukraine zu verstetigen." Die Mehrheit im US-Parlament und in der Bevölkerung sei dafür eigentlich da. Sie müsse jetzt noch richtig organisiert werden.

Die Lage der NATO an ihrem 75. Gründungstag sieht der im Herbst scheidende NATO-Generalsekretär aus Norwegen durchaus positiv. "Die NATO ist die stärkste und erfolgreichste Allianz der Geschichte, und zwar aus zwei Gründen: Weil wir vereint sind im gegenseitigen Schutz. Weil wir immer fähig waren, uns anzupassen, wenn die Welt sich verändert", sagte Stoltenberg der DW im NATO-Hauptquartier. Jetzt sei Russland die Bedrohung Nummer Eins. Entsprechend werde man handeln.

Ukraine bitte um mehr Luftverteidigung

"Ich möchte die Party ja nicht verderben," sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba beim Jubiläumstreffen der NATO in Brüssel. Er sei gekommen, um mehr lebenswichtige Flugabwehr von der 75 Jahre alten Allianz einzufordern. "Ukrainische Leben, die Wirtschaft und Städte zu retten, hängt davon ab, ob es Patriot und andere Luftabwehrsysteme in der Ukraine gibt. Wir reden über Patriots, weil sie das einzige System sind, das ballistische Raketen abfangen kann, so Dmytro Kuleba.

Ob der ukrainische Außenminister konkrete Zusagen mit nach Hause nehmen kann, ist unklar. Auf jeden Fall gab es aber verbale Unterstützung, zum Beispiel von der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock. Sie erinnerte daran, dass man die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den Angreifer Russland auch aus eigenen Interessen unterstütze. "Wenn sich die Ukraine nicht weiter verteidigen kann, dann droht der russische Angriffskrieg weiter Richtung europäische Grenzen, Richtung unserer eigenen NATO-Grenze zu kommen", warnte die deutsche Ministerin (Grüne).

Die Glaubwürdigkeit und die Zukunft der NATO hingen deshalb vom Zurückschlagen Russlands in der Ukraine ab. Ein Krieg, den die NATO mit gewinnen müsse, auch wenn die Ukraine noch kein Mitglied sei und das Beistandsversprechen aus Artikel 5 des NATO-Vertrages ja technisch nicht gelte. So lautet die Analyse des ehemaligen hohen NATO-Offiziellen Jamie Shea im Gespräch mit der Deutschen Welle. Zur Geburtstagsfeier hatten sich Hunderte NATO-Mitarbeiter und Militärs aus allen Mitgliedsstaaten im riesigen Atrium des Hauptquartiers in Brüssel versammelt.

Neuer 100 Milliarden-Fonds für die Ukraine?

Polen gehört zu den 22 Staaten, die die NATO seit ihrer Gründung als transatlantisches Bollwerk gegen die Sowjetunion 1949 aufgenommen hat. Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski sagte, sein Land könne sich glücklich schätzen: "Wir sind da, wo wir hingehören. In der Gesellschaft von Demokratien, umgeben von Freunden, die zusammen wie ein Fels zusammenstehen", betonte Sikorski und meinte den Widerstand gegen Russland, den die NATO nach 75 Jahren wieder als Hauptanliegen ansieht.

Ein Land schert allerdings aus. Ungarn, das 1999 der Allianz beitrat, weigert sich heute, eine gemeinsame NATO-Politik gegen Russland in vollem Umfang mitzutragen. "Das ist nicht unser Krieg, das ist nicht der Krieg der NATO", meinen ungarische NATO-Diplomaten mit Blick auf die russischen Eroberungsversuche in der Ukraine. Deshalb werde sich Ungarn auch weigern, einem Finanzierungspaket im Umfang von 100 Milliarden Euro für die Ukraine zuzustimmen.

Stoltenberg hatte diesen Vorschlag gemacht, um die Militärhilfe für die Ukraine zu verstetigen. So richtig begeistert waren von dem Vorschlag nur wenige Ministerinnen oder Minister, denn er würde höhere Finanzzusagen erfordern. Außerdem würde die NATO eine stärkere formale Rolle übernehmen. Derzeit liefert die NATO als Organisation keine Waffen oder Munition. Das übernehmen die einzelnen Mitgliedsstaaten bilateral mit der Ukraine.

Im Moment koordinieren die USA die Bemühungen der einzelnen NATO-Mitgliedsstaaten. Ob das nach den US-Wahlen im November noch so weitergeht, ist fraglich. Sollte der radikale Republikaner Trump ins Weiße Haus zurückkehren, würde sich der Wind unter den NATO-Verbündeten wohl drehen. Trump hat bereits angekündigt, dass er keinen Cent mehr in die Ukraine überweisen würde. Der 76. Geburtstag der NATO im kommenden Jahr könnte also ganz anders werden als die Gedenkveranstaltung heute in Brüssel.

Das Interview führte Alexandra von Nahmen.

Short teaser 75 Jahre NATO waren auch 75 Jahre Ringen um Einheit. NATO-Generalsekretär Stoltenberg im DW-Interview.
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Image caption DW-Interview mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg: "Hilfe für die Ukraine ist dringend. Wir müssen mehr tun."
Image source Bernd Riegert/DW
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Item 27
Id 68691269
Date 2024-04-04
Title 75 Jahre NATO: Wie steht es um das Militärbündnis?
Short title 75 Jahre NATO: Wie steht es um das Militärbündnis?
Teaser Zurück auf Anfang für die NATO: 1949 stand der Feind im Osten. Das ist heute wieder so. Russlands Krieg gegen die Ukraine bestimmt das Jubiläum der Allianz. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Die NATO ist die älteste und weltweit einzige militärische Allianz aus demokratischen Staaten. Und sie ist immer attraktiv. 1949 startete das Bündnis mit 12 Mitgliedern. Heute hat es 20 mehr. Jüngst traten Finnland und Schweden bei, weil sie Schutz vor Russland suchen. Der Ukraine und Georgien ist der Beitritt zugesagt, aus dem gleichen Grund. Die Erweiterung der NATO nach Osten begann vor 25 Jahren mit ehemaligen Mitgliedern des Warschauer Paktes, also des aufgelösten Militärbündnisses des Ostblocks: Das waren Polen, Tschechien und Ungarn.

Damals, zum 50. Geburtstag der NATO, herrschte Aufbruchstimmung. Den Kalten Krieg wähnte man gewonnen. Russland wurde als Partner angesehen. Moskau hatte 1997 vertraglich zugesichert, keine Einwände gegen eine Osterweiterung zu erheben. Als Mitglieder folgten 2004 die baltischen Staaten, die Slowakei, Slowenien, Bulgarien und Rumänien. 2009 traten Albanien und Kroatien der Allianz bei. 2017 und 2020 nahm die NATO mit Montenegro und Nordmazedonien weitere Teile des ehemaligen Jugoslawiens auf.

Russland sagt Nein

Der russische Präsident Wladimir Putin begann Anfang der 2000er Jahre, den Ostkurs der NATO zu kritisieren. Er behauptete: Als die ehemalige DDR durch die deutsche Wiedervereinigung 1990 in das Bündnis aufgenommen wurde, sei der Sowjetunion versprochen worden, dass die NATO sich nicht in den ehemaligen sowjetischen Einflussbereich ausdehnen werde. Schriftlich wurde dies jedoch nie festgelegt. Moskau unterschrieb 1997 die Russland-NATO-Akte, die solche Zusagen nicht enthält.

2008 versprach die NATO Georgien und der Ukraine im Prinzip die Mitgliedschaft. Spätestens da legte Putin einen strategischen Schalter um. Teile Georgiens brachte er unter russische Kontrolle, 2014 annektierte Russland die ukrainische Krim und unterstützte in der Ostukraine Separatisten. Dann folgte 2022 der Angriff auf die gesamte Ukraine. Die NATO hält die Tür für weitere Beitritte trotzdem offen. Oder gerade deswegen?

Zweifel an den USA

Im Grunde ist die Lage so wie vor 75 Jahren bei der Gründung der NATO am 4. April 1949 in Washington. Der wachsenden Bedrohung aus dem Osten will der freie Westen militärisch mit gegenseitigem Beistand begegnen - unter dem Schirm der Nuklearwaffen der USA. Kalter Krieg reloaded.

"Was die Bedrohungssituation angeht und die Reaktion der NATO, scheint alles so zu sein wie damals. Kollektive Verteidigung ist wieder die Kernaufgabe. Daran gibt es gar keine Zweifel", sagt Matthias Dembinski vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main. Der entscheidende Unterschied zu 1949 sei aber, dass es starkes Misstrauen gegenüber der NATO-Führungsnation USA gebe. Sollte der nächste US-Präsident Donald Trump heißen, könnte die bisher geltende Beistandsformel hinfällig werden. "Die Aufgabe, die dann im schlimmsten hypothetischen Fall auf die Europäer zukäme, wäre eine zweifache", so Matthias Dembinski. "Nämlich die politische Führungsleistung der USA zu kompensieren und ebenso die militärischen Beiträge, die die USA bisher in die NATO eingebracht haben. Das ist eine Herkulesaufgabe. Ob das gelingt, ist alles andere als klar."

Energiegeladen auch mit 75?

Der amtierende US-Präsident Joe Biden beschwört die Beistandsformel des Artikels 5 der NATO-Charta als "heilig und unverbrüchlich". Danach ist ein Angriff auf ein Mitglied ein Angriff auf alle. Beim jüngsten NATO-Gipfel 2023 im litauischen Vilnius beschrieb er den Zustand des nordatlantischen Bündnisses so: "Heute ist unsere Allianz ein Bollwerk für globale Stabilität und Sicherheit, so wie sie es seit über sieben Jahrzehnten war. Die NATO ist stärker, energiegeladener und geeinter als jemals zuvor."

Die Konfrontation mit Russland und die Unterstützung für die Ukraine schweißt die Allianz derzeit zusammen, beobachtet auch der Konfliktforscher Matthias Dembinski im Gespräch mit der DW. Mit nunmehr 32 Mitgliedern und ihren teils widerstrebenden Interessen ist die Allianz nicht ständig in Geburtstagslaune. "Die NATO hat erhebliche Trägheitseffekte. Und das kann so ein Bündnis auch immer wieder vor eine existenzielle Herausforderung stellen", meint Matthias Dembinski. "Das Interessante bei der NATO ist eigentlich, dass sie bisher alle ihre Krisen irgendwie überstanden hat - und die sind schwer gewesen. Die NATO war bisher erstaunlich anpassungsfähig."

Boris Pistorius: Steuer herumreißen

Die Herausforderung für die NATO heute sei, von internationalen Einsätzen wieder auf die vernachlässigte Verteidigung des eigenen Gebiets umzustellen, meint der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius im Interview mit dem Studio Brüssel der Deutschen Welle. Zurück zu den Wurzeln, und zwar zügig. "Wir reißen das Steuer gewissermaßen in voller Fahrt herum. Die Fahrtrichtung internationale Kriseneinsätze, Auslandsmissionen stoppen wir jetzt. Wir müssen den Schub umkehren, wieder in Richtung Landes- und Bündnisverteidigung. Das braucht einen Moment. Da sind wir gerade dabei und das wird dynamisch, wie ich das wahrnehme."

Die Zukunft der NATO werde vom Ausgang des Krieges Russlands gegen die Ukraine abhängen, obwohl sie selbst noch gar kein Mitglied ist. Das sei eine Frage der Glaubwürdigkeit für die Allianz, meint der ehemalige leitende NATO-Sprecher und Kommunikationsdirektor Jamie Shea. "Selbst wenn die Ukraine es schafft, Russland zu besiegen und ihr Territorium zu befreien, wird Russland boshaft und rachsüchtig bleiben. Es wird die NATO nicht lieben. Unglücklicherweise wird Russland für viele Jahre die größte Bedrohung für die NATO bleiben."

Short teaser 1949 stand der Feind im Osten. Das ist heute wieder so: Russlands Krieg gegen die Ukraine bestimmt das NATO-Jubiläum.
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Image caption Ein Kuchen zur Feier des Tages: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Belgiens Außenministerin Hadja Lahbib in Brüssel
Image source Dursun Aydemir/Anadolu/picture alliance
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Item 28
Id 68670225
Date 2024-04-03
Title 75 Jahre NATO: Das Auf und Ab der Allianz
Short title 75 Jahre NATO: Das Auf und Ab der Allianz
Teaser Von ursprünglich zwölf auf 32 Mitglieder ist die Allianz gewachsen. Russland ist nicht mehr Partner, sondern wieder Feind. Ein Rückblick auf Sinnkrisen und Solidarität zum runden Jubiläum am 4. April.

Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg

Am 4. April 1949 unterzeichnen zehn europäische Staaten sowie die USA und Kanada in Washington den Nordatlantik-Vertrag. Dies gilt als die Geburtsstunde der NATO.

Das Militärbündnis soll den Expansionsbestrebungen der kommunistischen Sowjetunion begegnen, nationalistischen Militarismus in Westeuropa verhindern und gleichzeitig ein dauerhaftes Engagement der USA in Europa vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges garantieren.

1945 setzten die USA ihre ersten Atombomben in Japan ein. 1949 zündet die Sowjetunion (UdSSR) ihre erste Atombombe. Die NATO setzt auf massive Vergeltung. Jeder Angriff auf NATO-Gebiet würde mit einem möglichst großen Atomschlag beantwortet.

Am 9. Mai 1955 tritt nach kontroverser Debatte die Bundesrepublik, also der westliche der beiden deutschen Staaten, der NATO bei. Nur fünf Tage später wird der Warschauer Pakt gegründet, das osteuropäische Militärbündnis unter Führung der Sowjetunion.

Der östliche deutsche Staat, die DDR, ist Teil des Warschauer Paktes. Westdeutsche und Ostdeutsche stehen sich am Eisernen Vorhang in unterschiedlichen Bündnissen gegenüber.

Von Konfrontation zu Entspannung

Die Kubakrise 1961 führte die Supermächte USA und Sowjetunion an den Rande eines Atomkriegs. Die Führung in Moskau lenkte ein und stoppte die Stationierung von Atomwaffen auf Kuba, weil sie vom damaligen Präsidenten John F. Kennedy mit einem nuklearen Schlag bedroht wurde.

Geschockt von diesem Beinahe-Krieg und der erneuten Konfrontation beim Bau der Berliner Mauer 1961, entschlossen sich NATO und Warschauer Pakt, einen sehr vorsichtigen Kurs der Entspannung einzuschlagen.

Der Kalte Krieg sollte kein heißer werden. Die NATO änderte ihr Konzept. Von jetzt an sollte es auf einen sowjetischen Angriff eine "flexible Antwort" geben, also abgestufte militärische Aktionen. Ein Atomschlag blieb zur Abschreckung das letzte Mittel.

1966 kam es zum halben Bruch zwischen der NATO und Frankreich. Präsident Charles de Gaulle pochte auf seine Unabhängigkeit bei militärischen Entscheidungen.

Frankreich verließ die NATO-Kommandostrukturen, nicht aber die politische Allianz. Das NATO-Hauptquartier musste von Paris nach Brüssel umziehen. Erst 2009 kehrte Frankreich vollständig in die militärische Allianz zurück.

Neuer Kalter Krieg, Ende des Warschauer Paktes

1979 marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein und stationierte in Europa SS20-Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen. Die NATO reagierte mit einer intern umstrittenen Nachrüstung von Mittelstreckenraketen.

1985 kam der sowjetische Reformer Michail Gorbatschow in das höchste Amt der UdSSR. Mit ihm veränderte sich der Kurs der Sowjetunion dramatisch.

Die Konfrontation zwischen Ost und West ließ nach und Abrüstungsverträge konnten geschlossen werden. Der damalige US-Präsident Ronald Reagan (1981 bis 1989) forderte Gorbatschow auf, die Mauer in Berlin einzureißen.

Zuerst brach Polen aus der Phalanx der kommunistischen Staaten aus. 1989 implodierte die DDR. Die Sowjetunion griff nicht ein.

Die NATO stellte sich die Frage, ob ein wiedervereinigtes Deutschland dem westlichen Militärbündnis angehören sollte. Die Frage wurde von der Sowjetunion, den USA, Frankreich und Großbritannien - den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs - mit Ja beantwortet. 1991 wurde der Warschauer Pakt aufgelöst, weil sich die ehemals kommunistischen Mitgliedstaaten von der Sowjetunion lossagten.

"Grundakte" zwischen NATO und Russland

Statt sich selbst aufzulösen, definierte die NATO unter Führung der USA, dass sie weiterhin nötig sei, um militaristischen Nationalismus in Europa zu unterbinden und Demokratie und Menschenrechte in Europa zu garantieren. Der Feind Sowjetunion zerfiel.

Mit Russland wurde eine neue Art strategischer Partnerschaft angestrebt. 1997 unterzeichnen beide Seiten in Paris die "NATO-Russland-Grundakte", in der Russland kein Veto gegen die Ost-Erweiterung einlegt und die NATO garantiert, keine Truppen dauerhaft in neuen Mitgliedsstaaten zu stationieren.

Bereits 1991, als die Sowjetunion aufgelöst wurde, dachte der Präsident Russlands, Boris Jelzin darüber nach, ob sein Land nicht selbst der NATO beitreten sollte. Dieser Gedanke wurde 2000 noch einmal vom neuen russischen Präsidenten Wladimir Putin aufgegriffen.

Im zerfallenden Jugoslawien wird die NATO in den 1990er Jahren aktiv, um Bürgerkriege zu befrieden und Europa vor einer Eskalation zu schützen. In Bosnien-Herzegowina wird 1995 eine 60.000 Mann umfassende Friedenstruppe IFOR mit einem Mandat der Vereinten Nationen stationiert.

1999 bombardiert die NATO serbische Städte, um einen Rückzug serbischer und jugoslawischer Einheiten aus dem Kosovo zu erzwingen. Dort drohte nach Einschätzung der Vereinten Nationen eine humanitäre Katastrophe durch die systematische Vertreibung von Kosovo-Albanern.

Ein Mandat für einen Einsatz der NATO erteilen die Vereinten Nationen aber nicht. Die NATO mandatierte sich selbst, was völkerrechtlich höchst umstritten ist.

Im Kosovo stationiert die Allianz die KFOR-Truppe, die bis heute aktiv ist. Der Konflikt zwischen Serbien und Kosovo ist auch 25 Jahre nach dem Bombardement ungelöst.

Der Ernstfall

Nach dem Terroranschlag gegen Ziele in den USA vom 11. September 2001 erklärte die NATO das erste und bisher einzige Mal den Bündnisfall. Nach Artikel 5 stehen alle NATO-Mitglieder dem angegriffenen Land bei, und zwar mit den Mitteln, die sie für angemessen halten.

Der Kampf gegen den Terrorismus wird die NATO 20 Jahre lang beschäftigen. Nach dem Fall des Taliban-Regimes zieht eine internationale Truppe unter NATO-Führung in Afghanistan ein, um das Land zu befrieden und eine Demokratie aufzubauen.

Der Plan scheitert im Sommer 2021 grandios. Unter chaotischen Umständen müssen die letzten internationalen Truppen die afghanische Hauptstadt Kabul verlassen. Die Taliban sind wieder an der Macht.

Die NATO gerät in eine schwere Sinnkrise. Der amerikanische Präsident Donald Trump hält die NATO für obsolet. Er will höhere Verteidigungsausgaben mit mehr Druck auf die Verbündeten durchsetzen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hält die NATO wegen möglicher mangelnder Bündnistreue der USA für "hirntot". Er will den europäischen Teil der NATO stärken.

Zurück auf Anfang: Russland ist wieder Feind

Die Frage nach Sinn und Aufgabe der NATO beantwortet der russische Präsident Wladimir Putin. Spätestens seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist der Allianz klar, dass Russland der Feind und die Landesverteidigung wieder die Hauptaufgabe der NATO sein werden - so wie bei der Gründung 1949.

Putin spricht sich spätestens seit 2008 gegen eine Osterweiterung der NATO aus. Die Allianz sagt diesen Schritt aber im April 2008 der Ukraine und Georgien zu, allerdings ohne konkreten Daten.

1999 hatte die NATO, damals noch mit Billigung Russlands, Polen, Tschechien und Ungarn aufgenommen. 2004 folgten die drei baltischen Staaten, die einst Sowjetrepubliken waren, sowie die Slowakei, Slowenien, Rumänien und Bulgarien.

Putin, der zunehmend autokratisch regiert, fühlt sich umzingelt. 2014 lässt er die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim annektieren und steuert russische Separatisten in der Ostukraine.

Die NATO reagiert mit der Stationierung von kleinen "Kampfgruppen" an ihrer Ostflanke und erhöht die Einsatzbereitschaft einer Eingreiftruppe. Die Erweiterung geht unterdessen weiter. Kroatien, Albanien, Montenegro und Nordmazedonien treten der Allianz bei.

Schweden und Finnland stärken Allianz

Nach dem Angriff auf die Ukraine 2022 stellen auch das bisher neutrale Finnland und Schweden Beitrittsanträge. Beide Staaten sind nach anfänglicher Opposition aus der Türkei und Ungarn inzwischen aufgenommen worden.

Die NATO hat nun 32 Mitglieder, 20 mehr als bei ihrer Gründung vor 75 Jahren. Wichtigste Aufgabe ist wieder die Territorialverteidigung.

Die Mitglieder der NATO, nicht die Organisation selbst, versprechen der Ukraine, sie zu finanziell zu unterstützen und auszurüsten, bis Russland den Krieg beendet. Das Bündnis will unbedingt verhindern, von Russland als Kriegspartei angesehen und angegriffen zu werden.

Short teaser Kalter Krieg, Fall des Kommunismus, Afghanistan und jetzt Russland als neuer Feind. Rückblick auf das Leben der NATO.
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Item 29
Id 68690958
Date 2024-03-28
Title Venezuelas Opposition ringt um Chancen bei Präsidentenwahl
Short title Venezuelas Opposition ringt um Chancen bei Präsidentenwahl
Teaser Im letzten Moment hat sich Venezuela Opposition eine Kandidatur für die Präsidentenwahl im Juli gesichert. Doch die Chancen gegen Machthaber Maduro scheinen gering: Die eigentliche Herausforderin darf nicht antreten.

Buchstäblich Minuten vor Ende der Frist ist es der Oppositionskoalition in Venezuela gelungen, einen Kandidaten für die Präsidentenwahl am 28. Juli 2024 zu melden. Im Januar hatte der Oberste Gerichtshof den Ausschluss der eigentlichen Spitzenkandidatin des Wahlbündnisses PUD (Plataforma Unitaria Democratica, deutsch.: Demokratische Einheitsplattform), Maria Corina Machado, bestätigt. Diesen Montag dann konnte sich ihre designierte Ersatzkandidatin Corina Yoris "aus technischen Gründen" nicht für die Wahl registrieren.

Letztlich gelang es der PUD, nach einer Fristverlängerung am Dienstag vor Ostern den ehemaligen Diplomaten Edmundo Gonzalez Urrutia als Kandidaten gegen Amtsinhaber Nicolas Maduro zu melden. Daneben hat Venezuelas oberste Wahlbehörde CNE zwei weitere oppositionelle Kandidaten bestätigt.

Wer sind die Oppositionskandidaten in Venezuela?

Die eiligst erfolgte Registrierung von Gonzalez ist laut PUD lediglich als vorläufige Kandidatur zu betrachten. Ziel sei es nach wie vor, Oppositionsführerin Machado aufzustellen. Bis zu zehn Tage vor den Wahlen sei dies rechtlich möglich.

Das war auch der Plan, als die PUD zunächst Corina Yoris als Ersatz nominieren wollte. Die 80-jährige emeritierte Philosophieprofessorin gilt als eloquent, aber als politisch vollkommen unerfahren.

Der zweite Ersatzkandidat Gonzalez sitzt immerhin im Führungsgremium der mit der PUD verbundenen MUD (Mesa de la Unidad Democratica, deutsch: Koalition der demokratischen Einheit). Jedoch ist auch er der Öffentlichkeit in Venezuela wenig bekannt. Oppositionsführerin Machado versprach nach Gonzalez' Registrierung, für ihre eigene Teilnahme weiterzukämpfen.

Drei Kandidaturen: Risikostreuung oder Spaltung?

Ebenfalls kurz vor Ablauf der Meldefrist hat sich der ehemalige Abgeordnete und Ex-Vizepräsident der Wahlkommission, Enrique Márquez, als unabhängiger Oppositionskandidat registriert. Für mehr Wirbel sorgte jedoch die Anmeldung von Manuel Rosales.

Der heutige Gouverneur des bevölkerungsreichsten Bundesstaats Zulia war 2006 als Präsidentschaftskandidat des Oppositionsbündnisses erfolglos gegen den damaligen Amtsinhaber Hugo Chavez angetreten. Dessen Sozialistische Einheitspartei (PSUV) regiert bis heute das Land - seit Chavez' Tod 2013 mit Nicolas Maduro an der Spitze.

Rosales' Partei Un nuevo tiempo (deutsch: Eine neue Zeit) ist eigentlich Teil der Anti-Maduro-Koalition PUD und hatte erst Machados und dann Yoris' Kandidatur bis zuletzt unterstützt. Sich selbst habe er lediglich aus demselben Grund registriert wie Gonzalez: um der PUD die Teilnahmen an der Wahl zu sichern. Allerdings war dies offenbar nicht abgesprochen. Kurz nach Bekanntwerden warf Oppositionsführerin Machado ihm Verrat vor.

Vorwürfe gegen Venezuelas "regimetreue Opposition"

Machados Vorwurf lasse durchblicken, dass sie Rosales einer sogenannten "regimetreuen Opposition" zurechnet, sagt Victor M. Mijares von der kolumbianischen Universidad de los Andes in Bogotá. Darunter versteht man oppositionelle Kräfte, die aufgrund ihrer nicht-konfrontativen Haltung den Anschein von Parteienvielfalt vermitteln, aber keine Bedrohung für eine autoritäre Regierung darstellten. "In Venezuela genießen diese Kräfte gewisse politische Vorteile, die sich etwa im Zugang zu Posten wie Bürgermeister oder Gouverneur äußern", so Mijares.

In einem vehementen Dementi verwahrte sich Rosales diesen Mittwoch gegen Behauptungen in sozialen Medien, seine Kandidatur sei mit Nicolas Maduro abgesprochen. Doch - gewollt oder nicht - auch Günther Maihold vom Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin meint, Rosales' Kandidatur sei im Interesse der Regierung: "Als Gouverneur dürfte er eigentlich überhaupt nicht kandidieren. Die von der Regierungspartei kontrollierte Wahlkommission lässt es aber zu, um die Opposition zu spalten."

Die stärkste Kandidatin ist kaltgestellt

Andererseits gilt Maria Corina Machado selbst in Oppositionskreisen als radikal. Auch deshalb wohl stand die rechts-liberale Politikerin jahrelang im Schatten gemäßigterer, eher linksliberaler Führungsfiguren wie Enrique Capriles, Leopoldo Lopez und Juan Guaido.

Spätestens im Oktober 2023 aber setzte sich Machado eindeutig an die Spitze der Opposition. Bei den Vorwahlen der PUD erhielt sie rund 90 Prozent der mehr als zwei Millionen abgegebenen Stimmen. Und das, obwohl ihr Regierungsbehörden zu diesem Zeitpunkt bereits bereit ein 15-jähriges Ämterverbot auferlegt hatten. Einer der Vorwürfe: Sie sei in ein "Korruptionskomplott" des früheren Parlamentspräsidenten Juan Guaidó verwickelt gewesen.

"Das hat Machados Position deutlich gestärkt", sagt Politologe Maihold. "Noch vergangene Woche habe ich mit Oppositionellen gesprochen, die wirklich an ihre Chance glaubten, die Wahl mit Machado zu gewinnen - wenn sie denn frei und demokratisch verlaufen würde."

Welche Wahlchancen hat die Opposition in Venezuela?

Doch genau dies ist nicht zu erwarten. Die Machthaber von der Sozialistischen Einheitspartei und ihre Verbündeten hätten im Grunde gar keine andere Wahl, als eine demokratische Abstimmung zu verhindern, meint Politologe Mijares. "Nicolas Maduro und seine Regierungskoalition befinden sich in einer Situation, in der es keine gangbare Option ist, von der Macht abzulassen, weil dies letztlich ein existenzielles Risiko darstellen würde." Die Opposition wirft dem Regime Korruption und Menschenrechtsverletzungen massiven Ausmaßes vor, die sie im Falle einer Redemokratisierung des Landes kaum ungeahndet lassen würden.

Unter all den Stolpersteinen, die die Regierung der Opposition in den Weg legt, hält Lateinamerika-Experte Günther Maihold den Ausschluss der Anführerin Machado für den entscheidenden. Machthaber Maduro genieße nur noch die Unterstützung von maximal 30 Prozent der Venezolaner. Dies seien vor allem Parteigänger, Militärs und deren Angehörige - Wähler also, die handfeste Vorteile von seiner Regentschaft haben.

"Der Wahlerfolg der Opposition hängt deshalb im Wesentlichen davon ab, wie viele Wähler sie mobilisieren kann", sagt Maihold. Aber nur einer Führungsfigur wie Machado könne es vermutlich gelingen, eine demokratische Mehrheit auf sich zu vereinen.

Short teaser Die Chancen der Opposition gegen Machthaber Maduro scheinen gering: Die eigentliche Herausforderin darf nicht antreten.
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Image caption Machthaber Maduro vor Anhängern (im Februar): stärkste Gegenkandidatin mit Amtsverbot belegt
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Item 30
Id 68624108
Date 2024-03-21
Title Die Gerichtsverfahren gegen Donald Trump
Short title Die Gerichtsverfahren gegen Donald Trump
Teaser Sexuelle Nötigung, Betrug, Wahlbeeinflussung, Verleumdung, Missbrauch geheimer Dokumente, Behinderung der Justiz: Die Liste der Anklagepunkte gegen Donald Trump vor mehreren US-Gerichten ist beeindruckend. Ein Überblick.

Diese Zahl dürften selbst hochkriminelle Gangsterbosse nur schwer erreichen: Insgesamt 91 Straftaten werden Donald J. Trump derzeit zur Last gelegt, die in verschiedenen Prozessen behandelt werden sollen. Damit ist die Liste der Anklagepunkte gegen den 45. Präsidenten der USA schon jetzt mehr als doppelt so lang wie die Liste seiner Vorgänger im Amt.

Drei Zivilprozesse hat er bereits verloren, inklusive millionenschwerer Schadenersatzforderungen. Dennoch versucht Donald Trump mit aller Macht, erneut Präsident zu werden. Mit juristischen Winkelzügen zögern seine Anwälte einen Prozess nach dem anderen immer weiter hinaus. Rettet sich Trump zurück ins Präsidentenamt - und damit womöglich in die Immunität?

Sturm auf das Kapitol

Der wohl schwerwiegendste Fall gegen Donald Trump liegt in Washington D.C. vor Gericht. Vier Bundesverbrechen werden Trump von Sonderermittler Jack Smith vorgeworfen. Im Mittelpunkt steht der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021, als eine Meute von Trump-Anhängern gewaltsam versuchte, den Regierungswechsel von Trump hin zu Joe Biden aufzuhalten.

Unter anderem steht der Verdacht auf Verschwörung, Wahlbeeinflussung und Anstachelung zum Aufstand im Raum. Im Fall einer Verurteilung droht dem 77-Jährigen eine jahrzehntelange Haftstrafe.

Ursprünglich sollte der Prozess dazu am 18. März beginnen. Doch der Fall liegt mittlerweile beim Obersten Gericht. Dieses muss klären, inwieweit Trump aufgrund seiner damaligen Immunität als US-Präsident überhaupt belangt werden kann.

Ob das Oberste Gericht gegen Trump entscheidet, ist zumindest ungewiss. Denn er hatte während seiner ersten Amtszeit als Präsident gleich drei der neun auf Lebenszeit ernannten Richterposten nachbesetzen können und damit auf Jahre hinaus eine konservative Mehrheit in dem Gremium zementiert. Und selbst wenn der Supreme Court ein Verfahren zulassen sollte, ist es unwahrscheinlich, dass dieses so kurz vor der Präsidentschaftswahl stattfinden würde, weil auch dies als Wahlbeeinflussung ausgelegt werden könnte.

Wahlbeeinflussung in Georgia

Parallel zum Verfahren in Washington D.C. muss sich Trump auch im Bundesstaat Georgia wegen illegaler Wahlbeeinflussung verantworten. Bei der äußerst engen Präsidentschaftswahl 2020 fehlten ihm nach der ersten Auszählung nur knapp 12.000 Stimmen, um den Bundesstaat für sich zu entscheiden.

In einem Telefonat direkt nach der Wahl, dessen Audio-Mitschnitt später veröffentlicht wurde, hatte Trump den Wahlleiter von Georgia unter Druck gesetzt, diese Stimmen "zu finden". Trump und 18 weitere Verdächtige sind vor dem Bezirksgericht von Fulton County angeklagt, über Georgia hinaus in mehreren Bundesstaaten versucht zu haben, den Wahlausgang 2020 zu manipulieren.

Auch hier droht ihm eine langjährige Haftstrafe. Die zuständige Staatsanwältin Fani Willis hat vorgeschlagen, den Prozess im August beginnen zu lassen.

Ob es soweit kommt, ist ungewiss. Staatsanwältin Willis macht bei dem Verfahren bislang keine rühmliche Figur. Trumps Anwälte fordern, sie von dem Fall abzuziehen, weil sie eine Liebesbeziehung zu einem anderen in den Fall involvierten Staatsanwalt unterhielt.

Dieser Staatsanwalt sei überbezahlt worden und habe Willis zu gemeinsamen Luxusurlauben eingeladen. Der zuständige Richter entschied in der vergangenen Woche, dass Willis im Amt verbleiben darf, der Staatsanwalt sich jedoch zurückziehen müsse. Trumps Anwälte kündigten mittlerweile an, dagegen in Berufung zu gehen.

Geheimdokumente in Mar-a-Lago

Im August 2022 fand Floridas Polizei streng geheime Dokumente in Trumps Anwesen Mar-a-Lago; dabei soll es sich um Informationen über Atomwaffen und militärische Notfallpläne gehandelt haben. Nach US-Recht ist es verboten, derart sensible Informationen privat mit nach Hause zu nehmen.

Die Anklage konzentriert sich jedoch vor allem auf den Vorwurf, dass Trump sich trotz wiederholter Aufforderung geweigert habe, diese Papiere der Regierung zurückzugeben. Auch eine Behinderung der Ermittlungen wird ihm vorgeworfen: So soll Trump über ihm treue Mitarbeiter versucht haben, Filmmaterial aus Überwachungskameras verschwinden zu lassen, das ihn belasten könnte.

Der Prozessauftakt war ursprünglich für den 20. Mai geplant. Doch die zuständige Richterin Aileen Cannon äußerte Zweifel, ob dieser Termin eingehalten werden könne. Cannon ist umstritten. Sie war 2020 selbst von Trump an das US-Bezirksgericht für das südliche Florida berufen worden und hatte in späteren Verfahrensfragen mehrfach im Sinne Trumps geurteilt. Trumps Anwälte wiederum wollen das Verfahren ganz abwenden und berufen sich - wieder einmal - auf dessen Immunität im Amt. Ausgang des Verfahrens: ungewiss.

Schweigegeld - falsch verbucht?

130.000 Euro Schweigegeld soll Donald Trump der Pornodarstellerin Stormy Daniels gezahlt haben, damit sie nicht länger behauptet, eine sexuelle Beziehung mit ihm gehabt zu haben. Dabei ist nicht die Schweigegeldzahlung illegal, sondern die Art, wie Trump das Geld verbuchen ließ.

Zur Last gelegt wird dem Ex-Präsidenten die Fälschung von Geschäftsunterlagen. Außerdem habe er durch diese illegale Vertuschung eines potentiellen Skandals seine Chancen auf einen Wahlsieg 2016 verbessern wollen.

Eigentlich hätte der Fall ab der kommenden Woche verhandelt werden sollen. Doch mittlerweile sind zehntausende zusätzliche Seiten an Beweismaterial aufgetaucht. Um diese durchforsten zu können, wurde der Prozessauftakt zunächst um 30 Tage verschoben. Trumps Anwälte fordern eine Anhörung, um zu klären, warum es so lange gedauert hat, die Dokumente zu erstellen. Außerdem streben sie eine vollständige Einstellung des Verfahrens an.

Über eine halbe Milliarde Dollar an Strafzahlungen

Drei Zivilprozesse hat Donald Trump bereits verloren. Bei einem Prozess im Staat New York ging es um Wirtschaftsbetrug und die Erschleichung günstiger Kredite. Am 16. Februar wurde Trump dafür zu einer Strafzahlung von mehr als 450 Millionen Dollar verurteilt.

Weitere 90 Millionen Dollar muss er als Entschädigung an die US-Autorin E. Jean Carroll zahlen, gegen die er gleich zweimal vor Gericht verlor. Sie hatte ihn der Vergewaltigung beschuldigt und Trump darüber hinaus vorgeworfen, ihren Ruf zerstört zu haben, weil er sie als Lügnerin bezichtigte. Das letzte Wort ist hier indes noch nicht gesprochen: In all diesen Verfahren kündigte Trump bereits an, in Berufung gehen zu wollen.

Short teaser Die Liste der Anklagepunkte gegen den Ex-Präsidenten vor mehreren US-Gerichten ist beeindruckend. Ein Überblick.
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